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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Erstes Buch. §. 31.
Achtung für alles dasjenige, was ein anderer Staat durch
Gebrauch seiner Rechte in seinem eigenthümlichen Gebiet ge-
schaffen oder sanctionirt hat, 1 in so weit dasselbe in den
internationalen Verkehr eingreift, desgleichen alsdann, wenn
in dem anderen Staate selbst Rechte gesucht oder vertheidigt
werden sollen, ohne daß jedoch außerdem den ausländischen
Rechtsverhältnissen eine gleiche oder überhaupt eine rechtliche
Wirksamkeit zu gestatten ist. 2
III. Achtung der sittlichen Würde, welche jedem Einzelstaat als
Glied der Weltordnung gebührt, so fern er sich dieser Ach-
tung nicht durch illegitimes Handeln unwürdig macht.
Kein Staat darf somit den anderen auf eine geringschätzende
verächtliche Weise behandeln, wiewohl er ihm auch keine hö-
here Bedeutung zuzugestehen hat, als in dem Wesen des Staa-
tes an sich begründet ist. Keine Nation hat das Recht, als die
größeste, tapferste, ruhmvollste oder tugendhafteste von den an-
deren anerkannt zu werden; 3 nur als rechtlich bestehende und
handelnde, so lange sie dieses ist. Natürlich wird jedoch durch
Eine unrechtliche Handlung der Anspruch auf Achtung nicht
für immer verwirkt; nur der Tadel des Unrechtmäßigen selbst
kann nicht dem freien Urtheil der anderen entzogen werden. 4
Wo sollte die Lüge aufhören, wenn sie der Wahrheit nicht in
den Trägern der Weltgeschichte Raum gestatten müßte? Eben
deshalb kann auch jede Staatsgewalt fordern, daß ihren Wor-
ten und Erklärungen die sie giebt, von anderen Mächten Glau-
ben beigemessen werde, so fern sie auch ihrerseits Treu und
Glauben bewährt. 5

Was übrigens ein Staat oder seine Regierung selbst gegen an-
dere Staaten zu beobachten und zu unterlassen hat, muß oder sollte

1 So kann kein Staat im internationalen Verkehr die Verfassung des an-
deren ignoriren, wenn er sie nicht anzufechten berechtigt ist.
2 Das Nähere hiervon unten bei der Collision der Staatenrechte. §. 34 f.
3 Freilich darf auch keiner Nation der Anspruch auf Ruhm positiv abge-
sprochen werden. Dies meint wohl Vattel I, 190, wo er jede attaque
a la gloire d'une nation
für eine Ehrenkränkung zu erklären scheint.
4 Peccata nocentium nota esse et oportet et expedit. L. 18. D. de injur.
Ueberhaupt treten hier die Grundsätze der Privatinjurien in Anwendung.
5 Schriften hierüber s. in v. Kamptz Lit. §. 93.
Erſtes Buch. §. 31.
Achtung für alles dasjenige, was ein anderer Staat durch
Gebrauch ſeiner Rechte in ſeinem eigenthümlichen Gebiet ge-
ſchaffen oder ſanctionirt hat, 1 in ſo weit daſſelbe in den
internationalen Verkehr eingreift, desgleichen alsdann, wenn
in dem anderen Staate ſelbſt Rechte geſucht oder vertheidigt
werden ſollen, ohne daß jedoch außerdem den ausländiſchen
Rechtsverhältniſſen eine gleiche oder überhaupt eine rechtliche
Wirkſamkeit zu geſtatten iſt. 2
III. Achtung der ſittlichen Würde, welche jedem Einzelſtaat als
Glied der Weltordnung gebührt, ſo fern er ſich dieſer Ach-
tung nicht durch illegitimes Handeln unwürdig macht.
Kein Staat darf ſomit den anderen auf eine geringſchätzende
verächtliche Weiſe behandeln, wiewohl er ihm auch keine hö-
here Bedeutung zuzugeſtehen hat, als in dem Weſen des Staa-
tes an ſich begründet iſt. Keine Nation hat das Recht, als die
größeſte, tapferſte, ruhmvollſte oder tugendhafteſte von den an-
deren anerkannt zu werden; 3 nur als rechtlich beſtehende und
handelnde, ſo lange ſie dieſes iſt. Natürlich wird jedoch durch
Eine unrechtliche Handlung der Anſpruch auf Achtung nicht
für immer verwirkt; nur der Tadel des Unrechtmäßigen ſelbſt
kann nicht dem freien Urtheil der anderen entzogen werden. 4
Wo ſollte die Lüge aufhören, wenn ſie der Wahrheit nicht in
den Trägern der Weltgeſchichte Raum geſtatten müßte? Eben
deshalb kann auch jede Staatsgewalt fordern, daß ihren Wor-
ten und Erklärungen die ſie giebt, von anderen Mächten Glau-
ben beigemeſſen werde, ſo fern ſie auch ihrerſeits Treu und
Glauben bewährt. 5

Was übrigens ein Staat oder ſeine Regierung ſelbſt gegen an-
dere Staaten zu beobachten und zu unterlaſſen hat, muß oder ſollte

1 So kann kein Staat im internationalen Verkehr die Verfaſſung des an-
deren ignoriren, wenn er ſie nicht anzufechten berechtigt iſt.
2 Das Nähere hiervon unten bei der Colliſion der Staatenrechte. §. 34 f.
3 Freilich darf auch keiner Nation der Anſpruch auf Ruhm poſitiv abge-
ſprochen werden. Dies meint wohl Vattel I, 190, wo er jede attaque
à la gloire d’une nation
für eine Ehrenkränkung zu erklären ſcheint.
4 Peccata nocentium nota esse et oportet et expedit. L. 18. D. de injur.
Ueberhaupt treten hier die Grundſätze der Privatinjurien in Anwendung.
5 Schriften hierüber ſ. in v. Kamptz Lit. §. 93.
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[54/0078] Erſtes Buch. §. 31. Achtung für alles dasjenige, was ein anderer Staat durch Gebrauch ſeiner Rechte in ſeinem eigenthümlichen Gebiet ge- ſchaffen oder ſanctionirt hat, 1 in ſo weit daſſelbe in den internationalen Verkehr eingreift, desgleichen alsdann, wenn in dem anderen Staate ſelbſt Rechte geſucht oder vertheidigt werden ſollen, ohne daß jedoch außerdem den ausländiſchen Rechtsverhältniſſen eine gleiche oder überhaupt eine rechtliche Wirkſamkeit zu geſtatten iſt. 2 III. Achtung der ſittlichen Würde, welche jedem Einzelſtaat als Glied der Weltordnung gebührt, ſo fern er ſich dieſer Ach- tung nicht durch illegitimes Handeln unwürdig macht. Kein Staat darf ſomit den anderen auf eine geringſchätzende verächtliche Weiſe behandeln, wiewohl er ihm auch keine hö- here Bedeutung zuzugeſtehen hat, als in dem Weſen des Staa- tes an ſich begründet iſt. Keine Nation hat das Recht, als die größeſte, tapferſte, ruhmvollſte oder tugendhafteſte von den an- deren anerkannt zu werden; 3 nur als rechtlich beſtehende und handelnde, ſo lange ſie dieſes iſt. Natürlich wird jedoch durch Eine unrechtliche Handlung der Anſpruch auf Achtung nicht für immer verwirkt; nur der Tadel des Unrechtmäßigen ſelbſt kann nicht dem freien Urtheil der anderen entzogen werden. 4 Wo ſollte die Lüge aufhören, wenn ſie der Wahrheit nicht in den Trägern der Weltgeſchichte Raum geſtatten müßte? Eben deshalb kann auch jede Staatsgewalt fordern, daß ihren Wor- ten und Erklärungen die ſie giebt, von anderen Mächten Glau- ben beigemeſſen werde, ſo fern ſie auch ihrerſeits Treu und Glauben bewährt. 5 Was übrigens ein Staat oder ſeine Regierung ſelbſt gegen an- dere Staaten zu beobachten und zu unterlaſſen hat, muß oder ſollte 1 So kann kein Staat im internationalen Verkehr die Verfaſſung des an- deren ignoriren, wenn er ſie nicht anzufechten berechtigt iſt. 2 Das Nähere hiervon unten bei der Colliſion der Staatenrechte. §. 34 f. 3 Freilich darf auch keiner Nation der Anſpruch auf Ruhm poſitiv abge- ſprochen werden. Dies meint wohl Vattel I, 190, wo er jede attaque à la gloire d’une nation für eine Ehrenkränkung zu erklären ſcheint. 4 Peccata nocentium nota esse et oportet et expedit. L. 18. D. de injur. Ueberhaupt treten hier die Grundſätze der Privatinjurien in Anwendung. 5 Schriften hierüber ſ. in v. Kamptz Lit. §. 93.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/78>, abgerufen am 23.11.2024.