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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 39. Völkerrecht im Zustand des Friedens.
benwirkungen, z. B. Hypotheken und Vorzugsrechten, welche ein
Staat lediglich den unter seinem Rechtssystem entstandenen Rechts-
verhältnissen beilegt, sofern nicht hierüber ein Einverständniß mit
anderen Staaten besteht. 1

39. Hinsichtlich der richterlichen Entscheidungsgewalt
lassen sich die nachstehenden Sätze als gemeingiltig annehmen: 2

I. Jeder Staat hat die, wenn gleich nicht ausschließliche, Com-
petenz, über alle Privat-Rechtsverhältnisse 3 zu entscheiden,
welche in ihm, sei es auch gegen einen Fremden, oder ge-
gen einen seiner Angehörigen, auf Veranlassung eines Interes-
senten 4 zur Vollstreckung gebracht werden sollen und einer
rechtlichen Entscheidung bedürftig sind. 5
II. Das gerichtliche Verfahren bestimmt sich lediglich nach den
Gesetzen und Ordnungen des Staates, dessen Gerichte die
Entscheidung abgeben sollen. Die Gerichte verschiedener Staa-
ten pflegen sich hierbei auf gehörige Requisition einander zu
unterstützen, sofern nicht in ihre eigene Competenz einge-
griffen wird. Das Verfahren des requirirten Richters be-
stimmt sich nach seinen eigenen Procedurgesetzen; jedoch kann
auch die vom Requirenten gewünschte Form beobachtet wer-
den, sofern dieselbe nicht gegen ein einheimisches Verbot oder
gegen die einheimische Sitte schlechthin verstößt. 6
III. Die materielle Entscheidung ist aus den vorhin erörterten
Entscheidungsquellen zu schöpfen. Auch die Beweisquel-
len
bestimmen sich darnach, 7 desgleichen alle das Klage-
recht selbst, nicht bloß die Procedur betreffenden Einreden. 8

1 Vergl. Foelix, p. 502.
2 Foelix, p. 166. Klüber, dr. d. g. §. 58. 59.
3 Nicht auch über hoheitliche Ansprüche eines fremden Staates an eine Pri-
vatperson. L. Höpfner, Beitr. z. civ. Praxis. Leipz. 1841. N. I. Vgl.
oben S. 66.
4 Nemo invitus ad agendum compellitur, ist ein Grundgesetz für jede bür-
gerliche Justizpflege.
5 Einen für den Staat, dessen Richter entscheiden sollen, völlig fremden und
gleichgiltigen Rechtsstreit brauchen die Richter nicht anzunehmen, selbst wenn
die Parteien einverstanden wären.
6 Foelix, p. 300 f.
7 Foelix, p. 167. 293.
8 Einer der controversesten Puncte ist die Einrede der Verjährung. Vor
allem kommt es darauf an, welches etwa exclusive Princip die Gesetzgebung

§. 39. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
benwirkungen, z. B. Hypotheken und Vorzugsrechten, welche ein
Staat lediglich den unter ſeinem Rechtsſyſtem entſtandenen Rechts-
verhältniſſen beilegt, ſofern nicht hierüber ein Einverſtändniß mit
anderen Staaten beſteht. 1

39. Hinſichtlich der richterlichen Entſcheidungsgewalt
laſſen ſich die nachſtehenden Sätze als gemeingiltig annehmen: 2

I. Jeder Staat hat die, wenn gleich nicht ausſchließliche, Com-
petenz, über alle Privat-Rechtsverhältniſſe 3 zu entſcheiden,
welche in ihm, ſei es auch gegen einen Fremden, oder ge-
gen einen ſeiner Angehörigen, auf Veranlaſſung eines Intereſ-
ſenten 4 zur Vollſtreckung gebracht werden ſollen und einer
rechtlichen Entſcheidung bedürftig ſind. 5
II. Das gerichtliche Verfahren beſtimmt ſich lediglich nach den
Geſetzen und Ordnungen des Staates, deſſen Gerichte die
Entſcheidung abgeben ſollen. Die Gerichte verſchiedener Staa-
ten pflegen ſich hierbei auf gehörige Requiſition einander zu
unterſtützen, ſofern nicht in ihre eigene Competenz einge-
griffen wird. Das Verfahren des requirirten Richters be-
ſtimmt ſich nach ſeinen eigenen Procedurgeſetzen; jedoch kann
auch die vom Requirenten gewünſchte Form beobachtet wer-
den, ſofern dieſelbe nicht gegen ein einheimiſches Verbot oder
gegen die einheimiſche Sitte ſchlechthin verſtößt. 6
III. Die materielle Entſcheidung iſt aus den vorhin erörterten
Entſcheidungsquellen zu ſchöpfen. Auch die Beweisquel-
len
beſtimmen ſich darnach, 7 desgleichen alle das Klage-
recht ſelbſt, nicht bloß die Procedur betreffenden Einreden. 8

1 Vergl. Foelix, p. 502.
2 Foelix, p. 166. Klüber, dr. d. g. §. 58. 59.
3 Nicht auch über hoheitliche Anſprüche eines fremden Staates an eine Pri-
vatperſon. L. Höpfner, Beitr. z. civ. Praxis. Leipz. 1841. N. I. Vgl.
oben S. 66.
4 Nemo invitus ad agendum compellitur, iſt ein Grundgeſetz für jede bür-
gerliche Juſtizpflege.
5 Einen für den Staat, deſſen Richter entſcheiden ſollen, völlig fremden und
gleichgiltigen Rechtsſtreit brauchen die Richter nicht anzunehmen, ſelbſt wenn
die Parteien einverſtanden wären.
6 Foelix, p. 300 f.
7 Foelix, p. 167. 293.
8 Einer der controverſeſten Puncte iſt die Einrede der Verjährung. Vor
allem kommt es darauf an, welches etwa excluſive Princip die Geſetzgebung
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[71/0095] §. 39. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens. benwirkungen, z. B. Hypotheken und Vorzugsrechten, welche ein Staat lediglich den unter ſeinem Rechtsſyſtem entſtandenen Rechts- verhältniſſen beilegt, ſofern nicht hierüber ein Einverſtändniß mit anderen Staaten beſteht. 1 39. Hinſichtlich der richterlichen Entſcheidungsgewalt laſſen ſich die nachſtehenden Sätze als gemeingiltig annehmen: 2 I. Jeder Staat hat die, wenn gleich nicht ausſchließliche, Com- petenz, über alle Privat-Rechtsverhältniſſe 3 zu entſcheiden, welche in ihm, ſei es auch gegen einen Fremden, oder ge- gen einen ſeiner Angehörigen, auf Veranlaſſung eines Intereſ- ſenten 4 zur Vollſtreckung gebracht werden ſollen und einer rechtlichen Entſcheidung bedürftig ſind. 5 II. Das gerichtliche Verfahren beſtimmt ſich lediglich nach den Geſetzen und Ordnungen des Staates, deſſen Gerichte die Entſcheidung abgeben ſollen. Die Gerichte verſchiedener Staa- ten pflegen ſich hierbei auf gehörige Requiſition einander zu unterſtützen, ſofern nicht in ihre eigene Competenz einge- griffen wird. Das Verfahren des requirirten Richters be- ſtimmt ſich nach ſeinen eigenen Procedurgeſetzen; jedoch kann auch die vom Requirenten gewünſchte Form beobachtet wer- den, ſofern dieſelbe nicht gegen ein einheimiſches Verbot oder gegen die einheimiſche Sitte ſchlechthin verſtößt. 6 III. Die materielle Entſcheidung iſt aus den vorhin erörterten Entſcheidungsquellen zu ſchöpfen. Auch die Beweisquel- len beſtimmen ſich darnach, 7 desgleichen alle das Klage- recht ſelbſt, nicht bloß die Procedur betreffenden Einreden. 8 1 Vergl. Foelix, p. 502. 2 Foelix, p. 166. Klüber, dr. d. g. §. 58. 59. 3 Nicht auch über hoheitliche Anſprüche eines fremden Staates an eine Pri- vatperſon. L. Höpfner, Beitr. z. civ. Praxis. Leipz. 1841. N. I. Vgl. oben S. 66. 4 Nemo invitus ad agendum compellitur, iſt ein Grundgeſetz für jede bür- gerliche Juſtizpflege. 5 Einen für den Staat, deſſen Richter entſcheiden ſollen, völlig fremden und gleichgiltigen Rechtsſtreit brauchen die Richter nicht anzunehmen, ſelbſt wenn die Parteien einverſtanden wären. 6 Foelix, p. 300 f. 7 Foelix, p. 167. 293. 8 Einer der controverſeſten Puncte iſt die Einrede der Verjährung. Vor allem kommt es darauf an, welches etwa excluſive Princip die Geſetzgebung

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/95>, abgerufen am 23.11.2024.