Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
Auch der Begriff selbst der Wissenschaft überhaupt, nicht
nur der wissenschaftlichen Methode, gehört zu ihrem In-
halte, und zwar macht er ihr letztes Resultat aus; was
sie ist, kann sie daher nicht voraussagen, sondern ihre
ganze Abhandlung bringt diß Wissen von ihr selbst erst
als ihr Letztes und als ihre Vollendung hervor. Gleich-
falls ihr Gegenstand, das Denken oder bestimmter das
begreiffende Denken, wird wesentlich innerhalb ihrer ab-
gehandelt; der Begriff desselben erzeugt sich in ihrem
Verlaufe, und kann daher nicht vorausgeschikt werden.
Was daher in dieser Einleitung vorausgeschikt wird, hat
nicht den Zweck, den Begriff der Logik etwa zu begrün-
den, oder den Inhalt und die Methode derselben zum
voraus wissenschaftlich zu rechtfertigen, sondern, durch
einige Erläuterungen und Reflexionen, in räsonnirendem
und historischem Sinne, den Gesichtspunkt, aus welchem
diese Wissenschaft zu betrachten ist, der Vorstellung nä-
her zu bringen.

Wenn die Logik als die Wissenschaft des Denkens
im Allgemeinen angenommen wird, so wird dabey ver-
standen, daß diß Denken die bloße Form einer Er-
kenntniß ausmache, daß die Logik von allem Inhalte ab-
strahire, und das sogenannte zweyte Bestandstück,
das zu einer Erkenntniß gehöre, die Materie, anderswo-
her gegeben werden müsse, daß somit die Logik, als von
welcher diese Materie ganz und gar unabhängig sey, nur
die formalen Bedingungen wahrhafter Erkenntniß ange-
ben, nicht aber reale Wahrheit selbst enthalten, noch
auch nur der Weg zu realer Wahrheit seyn könne, weil

gerade

Einleitung.
Auch der Begriff ſelbſt der Wiſſenſchaft uͤberhaupt, nicht
nur der wiſſenſchaftlichen Methode, gehoͤrt zu ihrem In-
halte, und zwar macht er ihr letztes Reſultat aus; was
ſie iſt, kann ſie daher nicht vorausſagen, ſondern ihre
ganze Abhandlung bringt diß Wiſſen von ihr ſelbſt erſt
als ihr Letztes und als ihre Vollendung hervor. Gleich-
falls ihr Gegenſtand, das Denken oder beſtimmter das
begreiffende Denken, wird weſentlich innerhalb ihrer ab-
gehandelt; der Begriff deſſelben erzeugt ſich in ihrem
Verlaufe, und kann daher nicht vorausgeſchikt werden.
Was daher in dieſer Einleitung vorausgeſchikt wird, hat
nicht den Zweck, den Begriff der Logik etwa zu begruͤn-
den, oder den Inhalt und die Methode derſelben zum
voraus wiſſenſchaftlich zu rechtfertigen, ſondern, durch
einige Erlaͤuterungen und Reflexionen, in raͤſonnirendem
und hiſtoriſchem Sinne, den Geſichtspunkt, aus welchem
dieſe Wiſſenſchaft zu betrachten iſt, der Vorſtellung naͤ-
her zu bringen.

Wenn die Logik als die Wiſſenſchaft des Denkens
im Allgemeinen angenommen wird, ſo wird dabey ver-
ſtanden, daß diß Denken die bloße Form einer Er-
kenntniß ausmache, daß die Logik von allem Inhalte ab-
ſtrahire, und das ſogenannte zweyte Beſtandſtuͤck,
das zu einer Erkenntniß gehoͤre, die Materie, anderswo-
her gegeben werden muͤſſe, daß ſomit die Logik, als von
welcher dieſe Materie ganz und gar unabhaͤngig ſey, nur
die formalen Bedingungen wahrhafter Erkenntniß ange-
ben, nicht aber reale Wahrheit ſelbſt enthalten, noch
auch nur der Weg zu realer Wahrheit ſeyn koͤnne, weil

gerade
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0022" n="II"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
Auch der Begriff &#x017F;elb&#x017F;t der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft u&#x0364;berhaupt, nicht<lb/>
nur der wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Methode, geho&#x0364;rt zu ihrem In-<lb/>
halte, und zwar macht er ihr letztes Re&#x017F;ultat aus; was<lb/>
&#x017F;ie i&#x017F;t, kann &#x017F;ie daher nicht voraus&#x017F;agen, &#x017F;ondern ihre<lb/>
ganze Abhandlung bringt diß Wi&#x017F;&#x017F;en von ihr &#x017F;elb&#x017F;t er&#x017F;t<lb/>
als ihr Letztes und als ihre Vollendung hervor. Gleich-<lb/>
falls ihr Gegen&#x017F;tand, das Denken oder be&#x017F;timmter das<lb/>
begreiffende Denken, wird we&#x017F;entlich innerhalb ihrer ab-<lb/>
gehandelt; der Begriff de&#x017F;&#x017F;elben erzeugt &#x017F;ich in ihrem<lb/>
Verlaufe, und kann daher nicht vorausge&#x017F;chikt werden.<lb/>
Was daher in die&#x017F;er Einleitung vorausge&#x017F;chikt wird, hat<lb/>
nicht den Zweck, den Begriff der Logik etwa zu begru&#x0364;n-<lb/>
den, oder den Inhalt und die Methode der&#x017F;elben zum<lb/>
voraus wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich zu rechtfertigen, &#x017F;ondern, durch<lb/>
einige Erla&#x0364;uterungen und Reflexionen, in ra&#x0364;&#x017F;onnirendem<lb/>
und hi&#x017F;tori&#x017F;chem Sinne, den Ge&#x017F;ichtspunkt, aus welchem<lb/>
die&#x017F;e Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft zu betrachten i&#x017F;t, der Vor&#x017F;tellung na&#x0364;-<lb/>
her zu bringen.</p><lb/>
        <p>Wenn die Logik als die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft des Denkens<lb/>
im Allgemeinen angenommen wird, &#x017F;o wird dabey ver-<lb/>
&#x017F;tanden, daß diß Denken <hi rendition="#g">die bloße Form</hi> einer Er-<lb/>
kenntniß ausmache, daß die Logik von allem Inhalte ab-<lb/>
&#x017F;trahire, und das &#x017F;ogenannte zweyte <hi rendition="#g">Be&#x017F;tand&#x017F;tu&#x0364;ck</hi>,<lb/>
das zu einer Erkenntniß geho&#x0364;re, die Materie, anderswo-<lb/>
her gegeben werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, daß &#x017F;omit die Logik, als von<lb/>
welcher die&#x017F;e Materie ganz und gar unabha&#x0364;ngig &#x017F;ey, nur<lb/>
die formalen Bedingungen wahrhafter Erkenntniß ange-<lb/>
ben, nicht aber reale Wahrheit &#x017F;elb&#x017F;t enthalten, noch<lb/>
auch nur der <hi rendition="#g">Weg</hi> zu realer Wahrheit &#x017F;eyn ko&#x0364;nne, weil<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gerade</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[II/0022] Einleitung. Auch der Begriff ſelbſt der Wiſſenſchaft uͤberhaupt, nicht nur der wiſſenſchaftlichen Methode, gehoͤrt zu ihrem In- halte, und zwar macht er ihr letztes Reſultat aus; was ſie iſt, kann ſie daher nicht vorausſagen, ſondern ihre ganze Abhandlung bringt diß Wiſſen von ihr ſelbſt erſt als ihr Letztes und als ihre Vollendung hervor. Gleich- falls ihr Gegenſtand, das Denken oder beſtimmter das begreiffende Denken, wird weſentlich innerhalb ihrer ab- gehandelt; der Begriff deſſelben erzeugt ſich in ihrem Verlaufe, und kann daher nicht vorausgeſchikt werden. Was daher in dieſer Einleitung vorausgeſchikt wird, hat nicht den Zweck, den Begriff der Logik etwa zu begruͤn- den, oder den Inhalt und die Methode derſelben zum voraus wiſſenſchaftlich zu rechtfertigen, ſondern, durch einige Erlaͤuterungen und Reflexionen, in raͤſonnirendem und hiſtoriſchem Sinne, den Geſichtspunkt, aus welchem dieſe Wiſſenſchaft zu betrachten iſt, der Vorſtellung naͤ- her zu bringen. Wenn die Logik als die Wiſſenſchaft des Denkens im Allgemeinen angenommen wird, ſo wird dabey ver- ſtanden, daß diß Denken die bloße Form einer Er- kenntniß ausmache, daß die Logik von allem Inhalte ab- ſtrahire, und das ſogenannte zweyte Beſtandſtuͤck, das zu einer Erkenntniß gehoͤre, die Materie, anderswo- her gegeben werden muͤſſe, daß ſomit die Logik, als von welcher dieſe Materie ganz und gar unabhaͤngig ſey, nur die formalen Bedingungen wahrhafter Erkenntniß ange- ben, nicht aber reale Wahrheit ſelbſt enthalten, noch auch nur der Weg zu realer Wahrheit ſeyn koͤnne, weil gerade

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/22
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. II. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/22>, abgerufen am 24.11.2024.