Ich führe hier die wichtigsten Bestimmungen an, welche von Mathematikern über diß Unendliche gegeben worden sind. Es wird daraus erhellen, daß diesen ih- ren Bestimmungen der Gedanke der Sache, übereinstim- mend mit dem hier entwickelten Begriffe, zu Grunde liegt, daß sie ihn aber als Begriff nicht ergründeten und deswegen bey der Anwendung wieder Auskunftsmittel nöthig hatten, welche ihrer bessern Sache widersprechen.
Der Gedanke kann nicht richtiger bestimmt werden, als Newton ihn gegeben hat. Ich trenne dabey die Bestimmungen ab, die der Vorstellung der Bewegung und der Geschwindigkeit angehören, (von welcher er vor- nemlich den Namen Fluxionen nahm,) weil der Ge- danke hierin nicht in der gehörigen Abstraction, sondern concret, vermischt mit ausserwesentlichen Begriffen er- scheint. -- Diese Fluxionen erklärt Newton näher (Princ. mathem. phil. nat. L. 1. Lemma XI. Schol.) dahin, daß er nicht untheilbare -- eine Form deren sich frühere Mathematiker, Cavalleri und andere, bedienten, und welche den Begriff eines an sich bestimmten Quan- tums enthält, -- verstehe, sondern verschwinden- de Theilbare. Ferner nicht Summen und Verhält- nisse bestimmter Theile, sondern die Grenzen (limi- tes) der Summen und Verhältnisse. Es werde die Einwendung gemacht, daß verschwindende Größen kein letztes Verhältniß haben, weil es, ehe sie verschwunden, nicht das Letzte, und wenn sie verschwun- den, keines mehr ist. Aber unter dem Verhältnisse ver- schwindender Größen sey das Verhältniß zu verstehen, nicht eh sie verschwinden, und nicht nachher, son- dern mit dem sie verschwinden (quacum evanescunt). Eben so ist das erste Verhältniß werdender Größen, das, mit dem sie werden.
Nach
Quantitaͤt.
Ich fuͤhre hier die wichtigſten Beſtimmungen an, welche von Mathematikern uͤber diß Unendliche gegeben worden ſind. Es wird daraus erhellen, daß dieſen ih- ren Beſtimmungen der Gedanke der Sache, uͤbereinſtim- mend mit dem hier entwickelten Begriffe, zu Grunde liegt, daß ſie ihn aber als Begriff nicht ergruͤndeten und deswegen bey der Anwendung wieder Auskunftsmittel noͤthig hatten, welche ihrer beſſern Sache widerſprechen.
Der Gedanke kann nicht richtiger beſtimmt werden, als Newton ihn gegeben hat. Ich trenne dabey die Beſtimmungen ab, die der Vorſtellung der Bewegung und der Geſchwindigkeit angehoͤren, (von welcher er vor- nemlich den Namen Fluxionen nahm,) weil der Ge- danke hierin nicht in der gehoͤrigen Abſtraction, ſondern concret, vermiſcht mit auſſerweſentlichen Begriffen er- ſcheint. — Dieſe Fluxionen erklaͤrt Newton naͤher (Princ. mathem. phil. nat. L. 1. Lemma XI. Schol.) dahin, daß er nicht untheilbare — eine Form deren ſich fruͤhere Mathematiker, Cavalleri und andere, bedienten, und welche den Begriff eines an ſich beſtimmten Quan- tums enthaͤlt, — verſtehe, ſondern verſchwinden- de Theilbare. Ferner nicht Summen und Verhaͤlt- niſſe beſtimmter Theile, ſondern die Grenzen (limi- tes) der Summen und Verhaͤltniſſe. Es werde die Einwendung gemacht, daß verſchwindende Groͤßen kein letztes Verhaͤltniß haben, weil es, ehe ſie verſchwunden, nicht das Letzte, und wenn ſie verſchwun- den, keines mehr iſt. Aber unter dem Verhaͤltniſſe ver- ſchwindender Groͤßen ſey das Verhaͤltniß zu verſtehen, nicht eh ſie verſchwinden, und nicht nachher, ſon- dern mit dem ſie verſchwinden (quacum evaneſcunt). Eben ſo iſt das erſte Verhaͤltniß werdender Groͤßen, das, mit dem ſie werden.
Nach
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Quantitaͤt.
Ich fuͤhre hier die wichtigſten Beſtimmungen an,
welche von Mathematikern uͤber diß Unendliche gegeben
worden ſind. Es wird daraus erhellen, daß dieſen ih-
ren Beſtimmungen der Gedanke der Sache, uͤbereinſtim-
mend mit dem hier entwickelten Begriffe, zu Grunde liegt,
daß ſie ihn aber als Begriff nicht ergruͤndeten und
deswegen bey der Anwendung wieder Auskunftsmittel
noͤthig hatten, welche ihrer beſſern Sache widerſprechen.
Der Gedanke kann nicht richtiger beſtimmt werden,
als Newton ihn gegeben hat. Ich trenne dabey die
Beſtimmungen ab, die der Vorſtellung der Bewegung
und der Geſchwindigkeit angehoͤren, (von welcher er vor-
nemlich den Namen Fluxionen nahm,) weil der Ge-
danke hierin nicht in der gehoͤrigen Abſtraction, ſondern
concret, vermiſcht mit auſſerweſentlichen Begriffen er-
ſcheint. — Dieſe Fluxionen erklaͤrt Newton naͤher (Princ.
mathem. phil. nat. L. 1. Lemma XI. Schol.) dahin, daß
er nicht untheilbare — eine Form deren ſich fruͤhere
Mathematiker, Cavalleri und andere, bedienten, und
welche den Begriff eines an ſich beſtimmten Quan-
tums enthaͤlt, — verſtehe, ſondern verſchwinden-
de Theilbare. Ferner nicht Summen und Verhaͤlt-
niſſe beſtimmter Theile, ſondern die Grenzen (limi-
tes) der Summen und Verhaͤltniſſe. Es werde
die Einwendung gemacht, daß verſchwindende Groͤßen
kein letztes Verhaͤltniß haben, weil es, ehe ſie
verſchwunden, nicht das Letzte, und wenn ſie verſchwun-
den, keines mehr iſt. Aber unter dem Verhaͤltniſſe ver-
ſchwindender Groͤßen ſey das Verhaͤltniß zu verſtehen,
nicht eh ſie verſchwinden, und nicht nachher, ſon-
dern mit dem ſie verſchwinden (quacum evaneſcunt).
Eben ſo iſt das erſte Verhaͤltniß werdender Groͤßen,
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/275>, abgerufen am 22.11.2024.
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