Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,2. Nürnberg, 1813.Zweytes Buch. I. Abschnitt. derntheils ist er das Gesetzte. Er ist das, woraus dasDaseyn begriffen werden soll; umgekehrt aber wird von diesem auf ihn geschlossen und er aus dem Daseyn begriffen. Das Hauptgeschäfte dieser Reflexion besteht nemlich darin, aus dem Daseyn die Gründe zu finden, das heißt, das unmittelbare Daseyn in die Form des Reflectirtseyns umzusetzen; der Grund statt an und für sich und selbstständig zu seyn, ist somit vielmehr das Gesetzte und Abgeleitete. Weil er nun durch diß Verfah- ren nach dem Phänomen eingerichtet ist, und seine Be- stimmungen auf diesem beruhen, so fließt dieses freylich ganz glatt und mit günstigem Winde aus seinem Grunde aus. Aber die Erkenntniß ist hiedurch nicht vom Flecke gekommen; sie treibt sich in einem Unterschiede der Form herum, den diß Verfahren selbst umkehrt und aufhebt. Eine der Hauptschwierigkeiten sich in die Wissenschaften einzustudiren, worin diß Verfahren herrschend ist, be- ruht deßwegen auf dieser Verkehrtheit der Stellung, das als Grund voraus zu schicken, was in der That abgelei- tet ist und indem zu den Folgen fortgegangen wird, in ihnen in der That erst den Grund jener seyn sollenden Gründe anzugeben. Es wird in der Darstellung mit den Gründen angefangen, sie werden als Principien und er- ste Begriffe in die Luft hingestellt; sie sind einfache Be- stimmungen, ohne alle Nothwendigkeit an und für sich selbst; das Folgende soll auf sie gegründet werden. Wer daher in dergleichen Wissenschaften eindringen will, muß damit anfangen sich jene Gründe zu inkulkiren; ein Ge- schäft, das der Vernunft sauer ankommt, weil sie Grund- loses als Grundlage gelten lassen soll. Am besten kommt derjenige fort, der sich ohne vieles Nachdenken die Principien als gegebene gefallen läßt, und sie von nun an als Grundregeln seines Verstandes gebraucht. Ohne diese Methode kann man den Anfang nicht gewin- nen; eben so wenig läßt sich ohne sie ein Fortgang ma- chen.
Zweytes Buch. I. Abſchnitt. derntheils iſt er das Geſetzte. Er iſt das, woraus dasDaſeyn begriffen werden ſoll; umgekehrt aber wird von dieſem auf ihn geſchloſſen und er aus dem Daſeyn begriffen. Das Hauptgeſchaͤfte dieſer Reflexion beſteht nemlich darin, aus dem Daſeyn die Gruͤnde zu finden, das heißt, das unmittelbare Daſeyn in die Form des Reflectirtſeyns umzuſetzen; der Grund ſtatt an und fuͤr ſich und ſelbſtſtaͤndig zu ſeyn, iſt ſomit vielmehr das Geſetzte und Abgeleitete. Weil er nun durch diß Verfah- ren nach dem Phaͤnomen eingerichtet iſt, und ſeine Be- ſtimmungen auf dieſem beruhen, ſo fließt dieſes freylich ganz glatt und mit guͤnſtigem Winde aus ſeinem Grunde aus. Aber die Erkenntniß iſt hiedurch nicht vom Flecke gekommen; ſie treibt ſich in einem Unterſchiede der Form herum, den diß Verfahren ſelbſt umkehrt und aufhebt. Eine der Hauptſchwierigkeiten ſich in die Wiſſenſchaften einzuſtudiren, worin diß Verfahren herrſchend iſt, be- ruht deßwegen auf dieſer Verkehrtheit der Stellung, das als Grund voraus zu ſchicken, was in der That abgelei- tet iſt und indem zu den Folgen fortgegangen wird, in ihnen in der That erſt den Grund jener ſeyn ſollenden Gruͤnde anzugeben. Es wird in der Darſtellung mit den Gruͤnden angefangen, ſie werden als Principien und er- ſte Begriffe in die Luft hingeſtellt; ſie ſind einfache Be- ſtimmungen, ohne alle Nothwendigkeit an und fuͤr ſich ſelbſt; das Folgende ſoll auf ſie gegruͤndet werden. Wer daher in dergleichen Wiſſenſchaften eindringen will, muß damit anfangen ſich jene Gruͤnde zu inkulkiren; ein Ge- ſchaͤft, das der Vernunft ſauer ankommt, weil ſie Grund- loſes als Grundlage gelten laſſen ſoll. Am beſten kommt derjenige fort, der ſich ohne vieles Nachdenken die Principien als gegebene gefallen laͤßt, und ſie von nun an als Grundregeln ſeines Verſtandes gebraucht. Ohne dieſe Methode kann man den Anfang nicht gewin- nen; eben ſo wenig laͤßt ſich ohne ſie ein Fortgang ma- chen.
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Zweytes Buch. I. Abſchnitt.
derntheils iſt er das Geſetzte. Er iſt das, woraus das
Daſeyn begriffen werden ſoll; umgekehrt aber wird
von dieſem auf ihn geſchloſſen und er aus dem
Daſeyn begriffen. Das Hauptgeſchaͤfte dieſer Reflexion
beſteht nemlich darin, aus dem Daſeyn die Gruͤnde zu
finden, das heißt, das unmittelbare Daſeyn in die Form
des Reflectirtſeyns umzuſetzen; der Grund ſtatt an und
fuͤr ſich und ſelbſtſtaͤndig zu ſeyn, iſt ſomit vielmehr das
Geſetzte und Abgeleitete. Weil er nun durch diß Verfah-
ren nach dem Phaͤnomen eingerichtet iſt, und ſeine Be-
ſtimmungen auf dieſem beruhen, ſo fließt dieſes freylich
ganz glatt und mit guͤnſtigem Winde aus ſeinem Grunde
aus. Aber die Erkenntniß iſt hiedurch nicht vom Flecke
gekommen; ſie treibt ſich in einem Unterſchiede der Form
herum, den diß Verfahren ſelbſt umkehrt und aufhebt.
Eine der Hauptſchwierigkeiten ſich in die Wiſſenſchaften
einzuſtudiren, worin diß Verfahren herrſchend iſt, be-
ruht deßwegen auf dieſer Verkehrtheit der Stellung, das
als Grund voraus zu ſchicken, was in der That abgelei-
tet iſt und indem zu den Folgen fortgegangen wird, in
ihnen in der That erſt den Grund jener ſeyn ſollenden
Gruͤnde anzugeben. Es wird in der Darſtellung mit den
Gruͤnden angefangen, ſie werden als Principien und er-
ſte Begriffe in die Luft hingeſtellt; ſie ſind einfache Be-
ſtimmungen, ohne alle Nothwendigkeit an und fuͤr ſich
ſelbſt; das Folgende ſoll auf ſie gegruͤndet werden. Wer
daher in dergleichen Wiſſenſchaften eindringen will, muß
damit anfangen ſich jene Gruͤnde zu inkulkiren; ein Ge-
ſchaͤft, das der Vernunft ſauer ankommt, weil ſie Grund-
loſes als Grundlage gelten laſſen ſoll. Am beſten kommt
derjenige fort, der ſich ohne vieles Nachdenken die
Principien als gegebene gefallen laͤßt, und ſie von
nun an als Grundregeln ſeines Verſtandes gebraucht.
Ohne dieſe Methode kann man den Anfang nicht gewin-
nen; eben ſo wenig laͤßt ſich ohne ſie ein Fortgang ma-
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