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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816.

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III. Abschnitt. Idee.
taphysische Betrachtung übrig. -- Kant in seiner Kri-
tik der rationalen Seelenlehre hält diese Meta-
physik daran fest, daß insofern sie eine rationale Wis-
senschaft seyn soll, durch das mindeste, was man von
der Wahrnehmung zu der allgemeinen Vorstel-
lung
des Selbstbewußtseyns hinzunähme, sich
jene Wissenschaft in eine empirische verwandelte und
ihre rationale Reinigkeit und Unabhängigkeit von aller
Erfahrung, verderbt würde. -- Es bleibe somit nichts
als die einfache, für sich an Inhalt ganz leere Vorstel-
lung: Ich, von der man nicht einmal sagen kann, daß
sie ein Begriff sey, sondern ein blosses Bewußt-
seyn
, das alle Begriffe begleitet. Durch die-
ses Ich, oder auch Es (das Ding) welches denket,
wird nun nach den weitern kantischen Folgerungen nichts
weiter, als ein transcendentales Subject der Gedanken
vorgestellt = X, welches nur durch die Gedanken, die
seine Prädicate sind, erkannt wird, und wovon wir,
abgesondert, niemals den mindesten Begriff ha-
ben können; diß Ich hat dabey nach Kants eigenem
Ausdruck, die Unbequemlichkeit, daß wir uns
jederzeit seiner schon bedienen müssen, um ir-
gend etwas von ihm zu urtheilen; denn es ist nicht so-
wohl eine Vorstellung, wodurch ein besonderes Ob-
ject unterschieden wird, sondern eine Form derselben
überhaupt, insofern sie Erkenntniß genannt werden
soll. -- Der Paralogismus, den die rationale See-
lenlehre begehe, bestehe nun darin, daß Modi des
Selbstbewußtseyns im Denken, zu Verstandesbe-
griffen
als von einem Objecte gemacht, daß jenes:
Ich denke als ein denkendes Wesen, ein Ding-
an-sich
genommen werde; auf welche Weise daraus,
daß Ich im Bewußtseyn immer als Subject und zwar
als singuläres, bey aller Mannichfaltigkeit der Vor-
stellung identisches, und von ihr als äusserlicher

mich

III. Abſchnitt. Idee.
taphyſiſche Betrachtung uͤbrig. — Kant in ſeiner Kri-
tik der rationalen Seelenlehre haͤlt dieſe Meta-
phyſik daran feſt, daß inſofern ſie eine rationale Wiſ-
ſenſchaft ſeyn ſoll, durch das mindeſte, was man von
der Wahrnehmung zu der allgemeinen Vorſtel-
lung
des Selbſtbewußtſeyns hinzunaͤhme, ſich
jene Wiſſenſchaft in eine empiriſche verwandelte und
ihre rationale Reinigkeit und Unabhaͤngigkeit von aller
Erfahrung, verderbt wuͤrde. — Es bleibe ſomit nichts
als die einfache, fuͤr ſich an Inhalt ganz leere Vorſtel-
lung: Ich, von der man nicht einmal ſagen kann, daß
ſie ein Begriff ſey, ſondern ein bloſſes Bewußt-
ſeyn
, das alle Begriffe begleitet. Durch die-
ſes Ich, oder auch Es (das Ding) welches denket,
wird nun nach den weitern kantiſchen Folgerungen nichts
weiter, als ein tranſcendentales Subject der Gedanken
vorgeſtellt = X, welches nur durch die Gedanken, die
ſeine Praͤdicate ſind, erkannt wird, und wovon wir,
abgeſondert, niemals den mindeſten Begriff ha-
ben koͤnnen; diß Ich hat dabey nach Kants eigenem
Ausdruck, die Unbequemlichkeit, daß wir uns
jederzeit ſeiner ſchon bedienen muͤſſen, um ir-
gend etwas von ihm zu urtheilen; denn es iſt nicht ſo-
wohl eine Vorſtellung, wodurch ein beſonderes Ob-
ject unterſchieden wird, ſondern eine Form derſelben
uͤberhaupt, inſofern ſie Erkenntniß genannt werden
ſoll. — Der Paralogismus, den die rationale See-
lenlehre begehe, beſtehe nun darin, daß Modi des
Selbſtbewußtſeyns im Denken, zu Verſtandesbe-
griffen
als von einem Objecte gemacht, daß jenes:
Ich denke als ein denkendes Weſen, ein Ding-
an-ſich
genommen werde; auf welche Weiſe daraus,
daß Ich im Bewußtſeyn immer als Subject und zwar
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[300/0318] III. Abſchnitt. Idee. taphyſiſche Betrachtung uͤbrig. — Kant in ſeiner Kri- tik der rationalen Seelenlehre haͤlt dieſe Meta- phyſik daran feſt, daß inſofern ſie eine rationale Wiſ- ſenſchaft ſeyn ſoll, durch das mindeſte, was man von der Wahrnehmung zu der allgemeinen Vorſtel- lung des Selbſtbewußtſeyns hinzunaͤhme, ſich jene Wiſſenſchaft in eine empiriſche verwandelte und ihre rationale Reinigkeit und Unabhaͤngigkeit von aller Erfahrung, verderbt wuͤrde. — Es bleibe ſomit nichts als die einfache, fuͤr ſich an Inhalt ganz leere Vorſtel- lung: Ich, von der man nicht einmal ſagen kann, daß ſie ein Begriff ſey, ſondern ein bloſſes Bewußt- ſeyn, das alle Begriffe begleitet. Durch die- ſes Ich, oder auch Es (das Ding) welches denket, wird nun nach den weitern kantiſchen Folgerungen nichts weiter, als ein tranſcendentales Subject der Gedanken vorgeſtellt = X, welches nur durch die Gedanken, die ſeine Praͤdicate ſind, erkannt wird, und wovon wir, abgeſondert, niemals den mindeſten Begriff ha- ben koͤnnen; diß Ich hat dabey nach Kants eigenem Ausdruck, die Unbequemlichkeit, daß wir uns jederzeit ſeiner ſchon bedienen muͤſſen, um ir- gend etwas von ihm zu urtheilen; denn es iſt nicht ſo- wohl eine Vorſtellung, wodurch ein beſonderes Ob- ject unterſchieden wird, ſondern eine Form derſelben uͤberhaupt, inſofern ſie Erkenntniß genannt werden ſoll. — Der Paralogismus, den die rationale See- lenlehre begehe, beſtehe nun darin, daß Modi des Selbſtbewußtſeyns im Denken, zu Verſtandesbe- griffen als von einem Objecte gemacht, daß jenes: Ich denke als ein denkendes Weſen, ein Ding- an-ſich genommen werde; auf welche Weiſe daraus, daß Ich im Bewußtſeyn immer als Subject und zwar als ſingulaͤres, bey aller Mannichfaltigkeit der Vor- ſtellung identiſches, und von ihr als aͤuſſerlicher mich

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 2. Nürnberg, 1816, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik02_1816/318>, abgerufen am 26.11.2024.