Dieses Bewusstseyn, welchem das Seyn die Bedeu- tung des Seinen hat, sehen wir nun zwar wieder in das Meynen und Wahrnehmen hineingehen, aber nicht als in die Gewissheit eines nur Andern, son- dern mit der Gewissheit, diss andere selbst zu seyn. Früher ist es ihm nur geschehen, manches an dem Dinge wahrzunehmen und zu erfahren; hier stellt es die Beobachtungen und die Erfahrung selbst an. Meynen und Wahrnehmen, das für uns früher sich aufgehoben, wird nun von dem Bewusstseyn für es selbst aufgehoben; die Vernunft geht darauf, die Wahrheit zu wissen; was für das Meynen und Wahr- nehmen ein Ding ist, als Begriff zu finden, das heisst, in der Dingheit nur das Bewusstseyn ihrer selbst zu haben. Die Vernunft hat daher itzt ein all- gemeines Interesse an der Welt, weil sie die Gewiss- heit ist, Gegenwart in ihr zu haben, oder dass die Gegenwart vernünftig ist. Sie sucht ihr Anderes, indem sie weiss, daran nichts Anders als sich selbst zu besitzen; sie sucht nur ihre eigne Unendlich- keit.
A. Beobachtende Vernunft.
Dieses Bewuſstseyn, welchem das Seyn die Bedeu- tung des Seinen hat, sehen wir nun zwar wieder in das Meynen und Wahrnehmen hineingehen, aber nicht als in die Gewiſsheit eines nur Andern, son- dern mit der Gewiſsheit, diſs andere selbst zu seyn. Früher ist es ihm nur geschehen, manches an dem Dinge wahrzunehmen und zu erfahren; hier stellt es die Beobachtungen und die Erfahrung selbst an. Meynen und Wahrnehmen, das für uns früher sich aufgehoben, wird nun von dem Bewuſstseyn für es selbst aufgehoben; die Vernunft geht darauf, die Wahrheit zu wissen; was für das Meynen und Wahr- nehmen ein Ding ist, als Begriff zu finden, das heiſst, in der Dingheit nur das Bewuſstseyn ihrer selbst zu haben. Die Vernunft hat daher itzt ein all- gemeines Interesse an der Welt, weil sie die Gewiſs- heit ist, Gegenwart in ihr zu haben, oder daſs die Gegenwart vernünftig ist. Sie sucht ihr Anderes, indem sie weiſs, daran nichts Anders als sich selbst zu besitzen; sie sucht nur ihre eigne Unendlich- keit.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0283"n="174"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><head>A.<lb/>
Beobachtende Vernunft.</head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#in">D</hi>ieses Bewuſstseyn, welchem das <hirendition="#i">Seyn</hi> die Bedeu-<lb/>
tung des <hirendition="#i">Seinen</hi> hat, sehen wir nun zwar wieder in<lb/>
das Meynen und Wahrnehmen hineingehen, aber<lb/>
nicht als in die Gewiſsheit eines nur <hirendition="#i">Andern</hi>, son-<lb/>
dern mit der Gewiſsheit, diſs andere selbst zu seyn.<lb/>
Früher ist es ihm nur <hirendition="#i">geschehen</hi>, manches an dem<lb/>
Dinge wahrzunehmen und zu <hirendition="#i">erfahren;</hi> hier stellt<lb/>
es die Beobachtungen und die Erfahrung selbst an.<lb/>
Meynen und Wahrnehmen, das für uns früher sich<lb/>
aufgehoben, wird nun von dem Bewuſstseyn für es<lb/>
selbst aufgehoben; die Vernunft geht darauf, die<lb/>
Wahrheit zu <hirendition="#i">wissen;</hi> was für das Meynen und Wahr-<lb/>
nehmen ein Ding ist, als Begriff zu finden, das<lb/>
heiſst, in der Dingheit nur das Bewuſstseyn ihrer<lb/>
selbst zu haben. Die Vernunft hat daher itzt ein all-<lb/>
gemeines <hirendition="#i">Interesse</hi> an der Welt, weil sie die Gewiſs-<lb/>
heit ist, Gegenwart in ihr zu haben, oder daſs die<lb/>
Gegenwart vernünftig ist. Sie sucht ihr Anderes,<lb/>
indem sie weiſs, daran nichts Anders als sich selbst<lb/>
zu besitzen; sie sucht nur ihre eigne Unendlich-<lb/>
keit.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[174/0283]
A.
Beobachtende Vernunft.
Dieses Bewuſstseyn, welchem das Seyn die Bedeu-
tung des Seinen hat, sehen wir nun zwar wieder in
das Meynen und Wahrnehmen hineingehen, aber
nicht als in die Gewiſsheit eines nur Andern, son-
dern mit der Gewiſsheit, diſs andere selbst zu seyn.
Früher ist es ihm nur geschehen, manches an dem
Dinge wahrzunehmen und zu erfahren; hier stellt
es die Beobachtungen und die Erfahrung selbst an.
Meynen und Wahrnehmen, das für uns früher sich
aufgehoben, wird nun von dem Bewuſstseyn für es
selbst aufgehoben; die Vernunft geht darauf, die
Wahrheit zu wissen; was für das Meynen und Wahr-
nehmen ein Ding ist, als Begriff zu finden, das
heiſst, in der Dingheit nur das Bewuſstseyn ihrer
selbst zu haben. Die Vernunft hat daher itzt ein all-
gemeines Interesse an der Welt, weil sie die Gewiſs-
heit ist, Gegenwart in ihr zu haben, oder daſs die
Gegenwart vernünftig ist. Sie sucht ihr Anderes,
indem sie weiſs, daran nichts Anders als sich selbst
zu besitzen; sie sucht nur ihre eigne Unendlich-
keit.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/283>, abgerufen am 30.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.