Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

Selbstbewusstseyns. Diss könnte noch entweder als das
reine Ansich des Denkens oder auch als das Seyn der
sinnlichen Gewissheit genommen werden. Aber indem
es zugleich für das Selbst, und dieses als Selbst, das ei-
nen Gegenstand hat, wirkliches Bewusstseyn ist, so ist
ihr eigenthümlicher Gegenstand als solcher ein seyen-
des gemeines Ding
der sinnlichen Gewissheit. Dieser ihr
Gegenstand erscheint ihr an der Vorstellung des Glau-
bens. Sie verdammt diese und in ihr ihren eignen Ge-
genstand. Gegen den Glauben aber begeht sie schon
darin das Unrecht, seinen Gegenstand so aufzufassen,
dass er der ihrige ist. Sie sagt hiernach über den Glau-
ben, dass sein absolutes Wesen ein Steinstück, ein
Holzblock sey, der Augen habe und nicht sehe, oder
auch etwas Brodteig, der auf dem Acker gewachsen,
von Menschen verwandelt darauf zurückgeschickt wer-
de; -- oder nach welchen Wesen sonst der Glauben'
das Wesen anthropomorphosire, sich gegenständlich
und vorstellig mache.

Die Aufklärung, die sich für das reine ausgiebt, macht
hier das, was dem Geiste ewiges Leben und heiliger
Geist ist, zu einem wirklichen vergänglichen Dinge,
und besudelt es mit der an sich nichtigen Ansicht der
sinnlichen Gewissheit, -- mit einer Ansicht, welche
dem anbetenden Glauben gar nicht vorhanden ist, so
dass sie ihm dieselbe rein anlügt. Was er verehrt, ist
ihm durchaus weder Stein, oder Holz, oder Brodteig'
noch sonst ein zeitliches sinnliches Ding. Wenn es
der Aufklärung einfällt, zu sagen, sein Gegenstand

Selbſtbewuſstſeyns. Diſs könnte noch entweder als das
reine Anſich des Denkens oder auch als das Seyn der
ſinnlichen Gewiſsheit genommen werden. Aber indem
es zugleich für das Selbſt, und dieſes als Selbſt, das ei-
nen Gegenſtand hat, wirkliches Bewuſstſeyn iſt, ſo iſt
ihr eigenthümlicher Gegenſtand als ſolcher ein ſeyen-
des gemeines Ding
der ſinnlichen Gewiſsheit. Dieſer ihr
Gegenſtand erſcheint ihr an der Vorſtellung des Glau-
bens. Sie verdammt dieſe und in ihr ihren eignen Ge-
genſtand. Gegen den Glauben aber begeht ſie ſchon
darin das Unrecht, ſeinen Gegenſtand ſo aufzufaſſen,
daſs er der ihrige iſt. Sie ſagt hiernach über den Glau-
ben, daſs ſein abſolutes Weſen ein Steinſtück, ein
Holzblock ſey, der Augen habe und nicht ſehe, oder
auch etwas Brodteig, der auf dem Acker gewachſen,
von Menſchen verwandelt darauf zurückgeſchickt wer-
de; — oder nach welchen Weſen ſonſt der Glauben’
das Weſen anthropomorphoſire, ſich gegenſtändlich
und vorſtellig mache.

Die Aufklärung, die ſich für das reine ausgiebt, macht
hier das, was dem Geiſte ewiges Leben und heiliger
Geiſt iſt, zu einem wirklichen vergänglichen Dinge,
und beſudelt es mit der an ſich nichtigen Anſicht der
ſinnlichen Gewiſsheit, — mit einer Anſicht, welche
dem anbetenden Glauben gar nicht vorhanden iſt, ſo
daſs ſie ihm dieſelbe rein anlügt. Was er verehrt, iſt
ihm durchaus weder Stein, oder Holz, oder Brodteig’
noch ſonſt ein zeitliches ſinnliches Ding. Wenn es
der Aufklärung einfällt, zu ſagen, ſein Gegenſtand

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0610" n="501"/><hi rendition="#i">Selb&#x017F;tbewu&#x017F;st&#x017F;eyns</hi>. Di&#x017F;s könnte noch entweder als das<lb/>
reine <hi rendition="#i">An&#x017F;ich</hi> des Denkens oder auch als das <hi rendition="#i">Seyn</hi> der<lb/>
&#x017F;innlichen Gewi&#x017F;sheit genommen werden. Aber indem<lb/>
es zugleich für das <hi rendition="#i">Selb&#x017F;t</hi>, und die&#x017F;es als <hi rendition="#i">Selb&#x017F;t</hi>, das ei-<lb/>
nen Gegen&#x017F;tand hat, wirkliches Bewu&#x017F;st&#x017F;eyn i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
ihr eigenthümlicher Gegen&#x017F;tand als &#x017F;olcher ein <hi rendition="#i">&#x017F;eyen-<lb/>
des gemeines Ding</hi> der <hi rendition="#i">&#x017F;innlichen Gewi&#x017F;sheit</hi>. Die&#x017F;er ihr<lb/>
Gegen&#x017F;tand er&#x017F;cheint ihr an der <hi rendition="#i">Vor&#x017F;tellung</hi> des Glau-<lb/>
bens. Sie verdammt die&#x017F;e und in ihr ihren eignen Ge-<lb/>
gen&#x017F;tand. Gegen den Glauben aber begeht &#x017F;ie &#x017F;chon<lb/>
darin das Unrecht, &#x017F;einen Gegen&#x017F;tand &#x017F;o <choice><sic>aufzu&#x017F;a&#x017F;&#x017F;en</sic><corr>aufzufa&#x017F;&#x017F;en</corr></choice>,<lb/>
da&#x017F;s er der ihrige i&#x017F;t. Sie &#x017F;agt hiernach über den Glau-<lb/>
ben, da&#x017F;s &#x017F;ein ab&#x017F;olutes We&#x017F;en ein Stein&#x017F;tück, ein<lb/>
Holzblock &#x017F;ey, der Augen habe und nicht &#x017F;ehe, oder<lb/>
auch etwas Brodteig, der auf dem Acker gewach&#x017F;en,<lb/>
von Men&#x017F;chen verwandelt darauf zurückge&#x017F;chickt wer-<lb/>
de; &#x2014; oder nach welchen We&#x017F;en &#x017F;on&#x017F;t der Glauben&#x2019;<lb/>
das We&#x017F;en anthropomorpho&#x017F;ire, &#x017F;ich gegen&#x017F;tändlich<lb/>
und vor&#x017F;tellig mache.</p><lb/>
                <p>Die Aufklärung, die &#x017F;ich für das reine ausgiebt, macht<lb/>
hier das, was dem Gei&#x017F;te ewiges Leben und heiliger<lb/>
Gei&#x017F;t i&#x017F;t, zu einem wirklichen <hi rendition="#i">vergänglichen Dinge</hi>,<lb/>
und be&#x017F;udelt es mit der an &#x017F;ich nichtigen An&#x017F;icht der<lb/>
&#x017F;innlichen Gewi&#x017F;sheit, &#x2014; mit einer An&#x017F;icht, welche<lb/>
dem anbetenden Glauben gar nicht vorhanden i&#x017F;t, &#x017F;o<lb/>
da&#x017F;s &#x017F;ie ihm die&#x017F;elbe rein anlügt. Was er verehrt, i&#x017F;t<lb/>
ihm durchaus weder Stein, oder Holz, oder Brodteig&#x2019;<lb/>
noch &#x017F;on&#x017F;t ein zeitliches &#x017F;innliches Ding. Wenn es<lb/>
der Aufklärung einfällt, zu &#x017F;agen, &#x017F;ein Gegen&#x017F;tand<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[501/0610] Selbſtbewuſstſeyns. Diſs könnte noch entweder als das reine Anſich des Denkens oder auch als das Seyn der ſinnlichen Gewiſsheit genommen werden. Aber indem es zugleich für das Selbſt, und dieſes als Selbſt, das ei- nen Gegenſtand hat, wirkliches Bewuſstſeyn iſt, ſo iſt ihr eigenthümlicher Gegenſtand als ſolcher ein ſeyen- des gemeines Ding der ſinnlichen Gewiſsheit. Dieſer ihr Gegenſtand erſcheint ihr an der Vorſtellung des Glau- bens. Sie verdammt dieſe und in ihr ihren eignen Ge- genſtand. Gegen den Glauben aber begeht ſie ſchon darin das Unrecht, ſeinen Gegenſtand ſo aufzufaſſen, daſs er der ihrige iſt. Sie ſagt hiernach über den Glau- ben, daſs ſein abſolutes Weſen ein Steinſtück, ein Holzblock ſey, der Augen habe und nicht ſehe, oder auch etwas Brodteig, der auf dem Acker gewachſen, von Menſchen verwandelt darauf zurückgeſchickt wer- de; — oder nach welchen Weſen ſonſt der Glauben’ das Weſen anthropomorphoſire, ſich gegenſtändlich und vorſtellig mache. Die Aufklärung, die ſich für das reine ausgiebt, macht hier das, was dem Geiſte ewiges Leben und heiliger Geiſt iſt, zu einem wirklichen vergänglichen Dinge, und beſudelt es mit der an ſich nichtigen Anſicht der ſinnlichen Gewiſsheit, — mit einer Anſicht, welche dem anbetenden Glauben gar nicht vorhanden iſt, ſo daſs ſie ihm dieſelbe rein anlügt. Was er verehrt, iſt ihm durchaus weder Stein, oder Holz, oder Brodteig’ noch ſonſt ein zeitliches ſinnliches Ding. Wenn es der Aufklärung einfällt, zu ſagen, ſein Gegenſtand

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/610
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/610>, abgerufen am 22.11.2024.