Selbstbewusstseyns. Diss könnte noch entweder als das reine Ansich des Denkens oder auch als das Seyn der sinnlichen Gewissheit genommen werden. Aber indem es zugleich für das Selbst, und dieses als Selbst, das ei- nen Gegenstand hat, wirkliches Bewusstseyn ist, so ist ihr eigenthümlicher Gegenstand als solcher ein seyen- des gemeines Ding der sinnlichen Gewissheit. Dieser ihr Gegenstand erscheint ihr an der Vorstellung des Glau- bens. Sie verdammt diese und in ihr ihren eignen Ge- genstand. Gegen den Glauben aber begeht sie schon darin das Unrecht, seinen Gegenstand so aufzufassen, dass er der ihrige ist. Sie sagt hiernach über den Glau- ben, dass sein absolutes Wesen ein Steinstück, ein Holzblock sey, der Augen habe und nicht sehe, oder auch etwas Brodteig, der auf dem Acker gewachsen, von Menschen verwandelt darauf zurückgeschickt wer- de; -- oder nach welchen Wesen sonst der Glauben' das Wesen anthropomorphosire, sich gegenständlich und vorstellig mache.
Die Aufklärung, die sich für das reine ausgiebt, macht hier das, was dem Geiste ewiges Leben und heiliger Geist ist, zu einem wirklichen vergänglichen Dinge, und besudelt es mit der an sich nichtigen Ansicht der sinnlichen Gewissheit, -- mit einer Ansicht, welche dem anbetenden Glauben gar nicht vorhanden ist, so dass sie ihm dieselbe rein anlügt. Was er verehrt, ist ihm durchaus weder Stein, oder Holz, oder Brodteig' noch sonst ein zeitliches sinnliches Ding. Wenn es der Aufklärung einfällt, zu sagen, sein Gegenstand
Selbſtbewuſstſeyns. Diſs könnte noch entweder als das reine Anſich des Denkens oder auch als das Seyn der ſinnlichen Gewiſsheit genommen werden. Aber indem es zugleich für das Selbſt, und dieſes als Selbſt, das ei- nen Gegenſtand hat, wirkliches Bewuſstſeyn iſt, ſo iſt ihr eigenthümlicher Gegenſtand als ſolcher ein ſeyen- des gemeines Ding der ſinnlichen Gewiſsheit. Dieſer ihr Gegenſtand erſcheint ihr an der Vorſtellung des Glau- bens. Sie verdammt dieſe und in ihr ihren eignen Ge- genſtand. Gegen den Glauben aber begeht ſie ſchon darin das Unrecht, ſeinen Gegenſtand ſo aufzufaſſen, daſs er der ihrige iſt. Sie ſagt hiernach über den Glau- ben, daſs ſein abſolutes Weſen ein Steinſtück, ein Holzblock ſey, der Augen habe und nicht ſehe, oder auch etwas Brodteig, der auf dem Acker gewachſen, von Menſchen verwandelt darauf zurückgeſchickt wer- de; — oder nach welchen Weſen ſonſt der Glauben’ das Weſen anthropomorphoſire, ſich gegenſtändlich und vorſtellig mache.
Die Aufklärung, die ſich für das reine ausgiebt, macht hier das, was dem Geiſte ewiges Leben und heiliger Geiſt iſt, zu einem wirklichen vergänglichen Dinge, und beſudelt es mit der an ſich nichtigen Anſicht der ſinnlichen Gewiſsheit, — mit einer Anſicht, welche dem anbetenden Glauben gar nicht vorhanden iſt, ſo daſs ſie ihm dieſelbe rein anlügt. Was er verehrt, iſt ihm durchaus weder Stein, oder Holz, oder Brodteig’ noch ſonſt ein zeitliches ſinnliches Ding. Wenn es der Aufklärung einfällt, zu ſagen, ſein Gegenſtand
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Selbſtbewuſstſeyns. Diſs könnte noch entweder als das
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ſinnlichen Gewiſsheit genommen werden. Aber indem
es zugleich für das Selbſt, und dieſes als Selbſt, das ei-
nen Gegenſtand hat, wirkliches Bewuſstſeyn iſt, ſo iſt
ihr eigenthümlicher Gegenſtand als ſolcher ein ſeyen-
des gemeines Ding der ſinnlichen Gewiſsheit. Dieſer ihr
Gegenſtand erſcheint ihr an der Vorſtellung des Glau-
bens. Sie verdammt dieſe und in ihr ihren eignen Ge-
genſtand. Gegen den Glauben aber begeht ſie ſchon
darin das Unrecht, ſeinen Gegenſtand ſo aufzufaſſen,
daſs er der ihrige iſt. Sie ſagt hiernach über den Glau-
ben, daſs ſein abſolutes Weſen ein Steinſtück, ein
Holzblock ſey, der Augen habe und nicht ſehe, oder
auch etwas Brodteig, der auf dem Acker gewachſen,
von Menſchen verwandelt darauf zurückgeſchickt wer-
de; — oder nach welchen Weſen ſonſt der Glauben’
das Weſen anthropomorphoſire, ſich gegenſtändlich
und vorſtellig mache.
Die Aufklärung, die ſich für das reine ausgiebt, macht
hier das, was dem Geiſte ewiges Leben und heiliger
Geiſt iſt, zu einem wirklichen vergänglichen Dinge,
und beſudelt es mit der an ſich nichtigen Anſicht der
ſinnlichen Gewiſsheit, — mit einer Anſicht, welche
dem anbetenden Glauben gar nicht vorhanden iſt, ſo
daſs ſie ihm dieſelbe rein anlügt. Was er verehrt, iſt
ihm durchaus weder Stein, oder Holz, oder Brodteig’
noch ſonſt ein zeitliches ſinnliches Ding. Wenn es
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/610>, abgerufen am 22.11.2024.
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