vollständiger. -- Das handelnde Bewusstseyn spricht diss sein bestimmtes Thun als Pflicht aus, und das beurtheilende kann ihm diss nicht ableugnen; denn die Pflicht selbst ist die jeden Inhalts fähige, inhalts- lose Form, -- oder die concrete Handlung, in ihrer Vielseitigkeit an ihr selbst verschieden, hat die all- gemeine Seite, welche die ist, die als Pflicht genom- men wird, ebensosehr an ihr, als die besondere, die den Antheil und das Interesse des Individuums aus- macht. Das beurtheilende Bewusstseyn bleibt nun nicht bey jener Seite der Pflicht und bey dem Wis- sen des Handelnden davon, dass diss seine Pflicht, das Verhältniss und der Stand seiner Wirklichkeit sey, stehen. Sondern es hält sich an die andre Sei- te, spielt die Handlung in das Innre hinein, und er- klärt sie aus ihrer von ihr selbst verschiednen Absicht und eigennützigen Triebfeder. Wie jede Handlung der Betrachtung ihrer Pflichtgemässheit fähig ist, ebenso dieser andern Betrachtung der Besonderheit; denn als Handlung ist sie die Wirklichkeit des Indi- viduums. -- Dieses Beurtheilen setzt also die Hand- lung aus ihrem Daseyn heraus und reflectirt sie in das Innre oder in die Form der eignen Besonder- heit. -- Ist sie von Ruhme begleitet, so weiss es diss Innre als Ruhmsucht; -- ist sie dem Stande des In- dividuums überhaupt angemessen, ohne über diesen hinauszugehen, und so beschaffen, dass die Indivi- dualität den Stand nicht als eine äussere Bestimmung an ihr hängen hat, sondern diese Allgemeinheit durch
vollſtändiger. — Das handelnde Bewuſstseyn ſpricht diſs ſein beſtimmtes Thun als Pflicht aus, und das beurtheilende kann ihm diſs nicht ableugnen; denn die Pflicht ſelbſt iſt die jeden Inhalts fähige, inhalts- loſe Form, — oder die concrete Handlung, in ihrer Vielſeitigkeit an ihr ſelbſt verſchieden, hat die all- gemeine Seite, welche die iſt, die als Pflicht genom- men wird, ebenſoſehr an ihr, als die beſondere, die den Antheil und das Intereſſe des Individuums aus- macht. Das beurtheilende Bewuſstseyn bleibt nun nicht bey jener Seite der Pflicht und bey dem Wiſ- ſen des Handelnden davon, daſs diſs ſeine Pflicht, das Verhältniſs und der Stand ſeiner Wirklichkeit ſey, ſtehen. Sondern es hält ſich an die andre Sei- te, ſpielt die Handlung in das Innre hinein, und er- klärt ſie aus ihrer von ihr ſelbſt verſchiednen Abſicht und eigennützigen Triebfeder. Wie jede Handlung der Betrachtung ihrer Pflichtgemäſsheit fähig iſt, ebenſo dieſer andern Betrachtung der Beſonderheit; denn als Handlung iſt ſie die Wirklichkeit des Indi- viduums. — Dieſes Beurtheilen ſetzt alſo die Hand- lung aus ihrem Daſeyn heraus und reflectirt ſie in das Innre oder in die Form der eignen Beſonder- heit. — Iſt ſie von Ruhme begleitet, ſo weiſs es diſs Innre als Ruhmſucht; — iſt ſie dem Stande des In- dividuums überhaupt angemeſſen, ohne über dieſen hinauszugehen, und ſo beſchaffen, daſs die Indivi- dualität den Stand nicht als eine äuſſere Beſtimmung an ihr hängen hat, ſondern dieſe Allgemeinheit durch
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vollſtändiger. — Das handelnde Bewuſstseyn ſpricht
diſs ſein beſtimmtes Thun als Pflicht aus, und das
beurtheilende kann ihm diſs nicht ableugnen; denn
die Pflicht ſelbſt iſt die jeden Inhalts fähige, inhalts-
loſe Form, — oder die concrete Handlung, in ihrer
Vielſeitigkeit an ihr ſelbſt verſchieden, hat die all-
gemeine Seite, welche die iſt, die als Pflicht genom-
men wird, ebenſoſehr an ihr, als die beſondere, die
den Antheil und das Intereſſe des Individuums aus-
macht. Das beurtheilende Bewuſstseyn bleibt nun
nicht bey jener Seite der Pflicht und bey dem Wiſ-
ſen des Handelnden davon, daſs diſs ſeine Pflicht,
das Verhältniſs und der Stand ſeiner Wirklichkeit
ſey, ſtehen. Sondern es hält ſich an die andre Sei-
te, ſpielt die Handlung in das Innre hinein, und er-
klärt ſie aus ihrer von ihr ſelbſt verſchiednen Abſicht
und eigennützigen Triebfeder. Wie jede Handlung
der Betrachtung ihrer Pflichtgemäſsheit fähig iſt,
ebenſo dieſer andern Betrachtung der Beſonderheit;
denn als Handlung iſt ſie die Wirklichkeit des Indi-
viduums. — Dieſes Beurtheilen ſetzt alſo die Hand-
lung aus ihrem Daſeyn heraus und reflectirt ſie in
das Innre oder in die Form der eignen Beſonder-
heit. — Iſt ſie von Ruhme begleitet, ſo weiſs es diſs
Innre als Ruhmſucht; — iſt ſie dem Stande des In-
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/724>, abgerufen am 22.11.2024.
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