Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827.Götterdämmerung. Der May ist da mit seinen goldnen Lichtern,
Und seidnen Lüften und gewürzten Düften, Und freundlich lockt er mit den weißen Blüthen, Und grüßt aus tausend blauen Veilchenaugen, Und breitet aus den blumreich grünen Teppich, Durchwebt mit Sonnenschein und Morgenthau, Und ruft herbei die lieben Menschenkinder. Das blöde Volk gehorcht dem ersten Ruf; Die Männer ziehn die Nankinhosen an, Und Sonntagsröck' mit goldnen Spiegelknöpfen; Die Frauen kleiden sich in Unschuldweiß, Jünglinge kräuseln sich den Frühlingsschnurrbart, Jungfrauen lassen ihre Busen wallen, Die Stadtpoeten stecken in die Tasche Papier und Bleistift und Lorgnett'; und jubelnd Zieht nach dem Thor die krausbewegte Schaar, Götterdämmerung. Der May iſt da mit ſeinen goldnen Lichtern,
Und ſeidnen Lüften und gewürzten Düften, Und freundlich lockt er mit den weißen Blüthen, Und grüßt aus tauſend blauen Veilchenaugen, Und breitet aus den blumreich grünen Teppich, Durchwebt mit Sonnenſchein und Morgenthau, Und ruft herbei die lieben Menſchenkinder. Das blöde Volk gehorcht dem erſten Ruf; Die Männer ziehn die Nankinhoſen an, Und Sonntagsröck' mit goldnen Spiegelknöpfen; Die Frauen kleiden ſich in Unſchuldweiß, Jünglinge kräuſeln ſich den Frühlingsſchnurrbart, Jungfrauen laſſen ihre Buſen wallen, Die Stadtpoeten ſtecken in die Taſche Papier und Bleiſtift und Lorgnett'; und jubelnd Zieht nach dem Thor die krausbewegte Schaar, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0266" n="258"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#g">Götterdämmerung.</hi><lb/> </head> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Der May iſt da mit ſeinen goldnen Lichtern,</l><lb/> <l>Und ſeidnen Lüften und gewürzten Düften,</l><lb/> <l>Und freundlich lockt er mit den weißen Blüthen,</l><lb/> <l>Und grüßt aus tauſend blauen Veilchenaugen,</l><lb/> <l>Und breitet aus den blumreich grünen Teppich,</l><lb/> <l>Durchwebt mit Sonnenſchein und Morgenthau,</l><lb/> <l>Und ruft herbei die lieben Menſchenkinder.</l><lb/> <l>Das blöde Volk gehorcht dem erſten Ruf;</l><lb/> <l>Die Männer ziehn die Nankinhoſen an,</l><lb/> <l>Und Sonntagsröck' mit goldnen Spiegelknöpfen;</l><lb/> <l>Die Frauen kleiden ſich in Unſchuldweiß,</l><lb/> <l>Jünglinge kräuſeln ſich den Frühlingsſchnurrbart,</l><lb/> <l>Jungfrauen laſſen ihre Buſen wallen,</l><lb/> <l>Die Stadtpoeten ſtecken in die Taſche</l><lb/> <l>Papier und Bleiſtift und Lorgnett'; und jubelnd</l><lb/> <l>Zieht nach dem Thor die krausbewegte Schaar,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [258/0266]
Götterdämmerung.
Der May iſt da mit ſeinen goldnen Lichtern,
Und ſeidnen Lüften und gewürzten Düften,
Und freundlich lockt er mit den weißen Blüthen,
Und grüßt aus tauſend blauen Veilchenaugen,
Und breitet aus den blumreich grünen Teppich,
Durchwebt mit Sonnenſchein und Morgenthau,
Und ruft herbei die lieben Menſchenkinder.
Das blöde Volk gehorcht dem erſten Ruf;
Die Männer ziehn die Nankinhoſen an,
Und Sonntagsröck' mit goldnen Spiegelknöpfen;
Die Frauen kleiden ſich in Unſchuldweiß,
Jünglinge kräuſeln ſich den Frühlingsſchnurrbart,
Jungfrauen laſſen ihre Buſen wallen,
Die Stadtpoeten ſtecken in die Taſche
Papier und Bleiſtift und Lorgnett'; und jubelnd
Zieht nach dem Thor die krausbewegte Schaar,
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