Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827.Mir ist als würden seine Wunden Von lieben Lippen aufgeküßt, Und thäten wieder bluten, Heiße, rothe Tropfen, Die lang und langsam niederfall'n Auf ein altes Haus dort unten In der tiefen Meerstadt, Auf ein altes, hochgegiebeltes Haus, Das melancholisch menschenleer ist, Nur daß am untern Fenster Ein Mädchen sitzt, Den Kopf auf den Arm gestützt, Wie ein armes, vergessenes Kind -- Und ich kenne dich armes, vergessenes Kind! So tief, so tief also
Verstecktest du dich vor mir, Aus kindischer Laune, Und konntest nicht mehr herauf, Und saßest fremd unter fremden Leuten, Fünfhundert Jahre lang, Derweilen ich, die Seele voll Gram, Auf der ganzen Erde dich suchte, Und immer dich suchte, Du Immergeliebte, Du Längstverlorene, Mir iſt als würden ſeine Wunden Von lieben Lippen aufgeküßt, Und thäten wieder bluten, Heiße, rothe Tropfen, Die lang und langſam niederfall'n Auf ein altes Haus dort unten In der tiefen Meerſtadt, Auf ein altes, hochgegiebeltes Haus, Das melancholiſch menſchenleer iſt, Nur daß am untern Fenſter Ein Mädchen ſitzt, Den Kopf auf den Arm geſtützt, Wie ein armes, vergeſſenes Kind — Und ich kenne dich armes, vergeſſenes Kind! So tief, ſo tief alſo
Verſteckteſt du dich vor mir, Aus kindiſcher Laune, Und konnteſt nicht mehr herauf, Und ſaßeſt fremd unter fremden Leuten, Fünfhundert Jahre lang, Derweilen ich, die Seele voll Gram, Auf der ganzen Erde dich ſuchte, Und immer dich ſuchte, Du Immergeliebte, Du Längſtverlorene, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0344" n="336"/> <lg n="4"> <l>Mir iſt als würden ſeine Wunden</l><lb/> <l>Von lieben Lippen aufgeküßt,</l><lb/> <l>Und thäten wieder bluten,</l><lb/> <l>Heiße, rothe Tropfen,</l><lb/> <l>Die lang und langſam niederfall'n</l><lb/> <l>Auf ein altes Haus dort unten</l><lb/> <l>In der tiefen Meerſtadt,</l><lb/> <l>Auf ein altes, hochgegiebeltes Haus,</l><lb/> <l>Das melancholiſch menſchenleer iſt,</l><lb/> <l>Nur daß am untern Fenſter</l><lb/> <l>Ein Mädchen ſitzt,</l><lb/> <l>Den Kopf auf den Arm geſtützt,</l><lb/> <l>Wie ein armes, vergeſſenes Kind —</l><lb/> <l>Und ich kenne dich armes, vergeſſenes Kind!</l><lb/> </lg> <lg n="5"> <l>So tief, ſo tief alſo</l><lb/> <l>Verſteckteſt du dich vor mir,</l><lb/> <l>Aus kindiſcher Laune,</l><lb/> <l>Und konnteſt nicht mehr herauf,</l><lb/> <l>Und ſaßeſt fremd unter fremden Leuten,</l><lb/> <l>Fünfhundert Jahre lang,</l><lb/> <l>Derweilen ich, die Seele voll Gram,</l><lb/> <l>Auf der ganzen Erde dich ſuchte,</l><lb/> <l>Und immer dich ſuchte,</l><lb/> <l>Du Immergeliebte,</l><lb/> <l>Du Längſtverlorene,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [336/0344]
Mir iſt als würden ſeine Wunden
Von lieben Lippen aufgeküßt,
Und thäten wieder bluten,
Heiße, rothe Tropfen,
Die lang und langſam niederfall'n
Auf ein altes Haus dort unten
In der tiefen Meerſtadt,
Auf ein altes, hochgegiebeltes Haus,
Das melancholiſch menſchenleer iſt,
Nur daß am untern Fenſter
Ein Mädchen ſitzt,
Den Kopf auf den Arm geſtützt,
Wie ein armes, vergeſſenes Kind —
Und ich kenne dich armes, vergeſſenes Kind!
So tief, ſo tief alſo
Verſteckteſt du dich vor mir,
Aus kindiſcher Laune,
Und konnteſt nicht mehr herauf,
Und ſaßeſt fremd unter fremden Leuten,
Fünfhundert Jahre lang,
Derweilen ich, die Seele voll Gram,
Auf der ganzen Erde dich ſuchte,
Und immer dich ſuchte,
Du Immergeliebte,
Du Längſtverlorene,
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