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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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rend die Nachtigallen mit ihren süßesten Tönen
sein altes Herz erfreuen.

Vor dem Weender Thore begegneten mir zwey
eingeborne kleine Schulknaben, wovon der Eine
zum Andern sagte: "Mit dem Theodor will ich
gar nicht mehr umgehen, er ist ein Lumpenkerl,
denn gestern wußte er nicht mal, wie der Ge¬
nitiv von Mensa heißt." So unbedeutend diese
Worte klingen, so muß ich sie doch wieder erzäh¬
len, ja, ich möchte sie als Stadt-Motto gleich
auf das Thor schreiben lassen; denn die Jungen
piepsen wie die Alten pfeifen, und jene Worte
bezeichnen ganz den engen, trocknen Notizenstolz
der hochgelahrten Georgia Augusta.

Auf der Chaussee wehte frische Morgenluft, und
die Vögel sangen gar freudig, und auch mir wurde
allmählig wieder frisch und freudig zu Muthe. Eine
solche Erquickung that Noth. Ich war die letzte
Zeit nicht aus dem Pandektenstall herausgekommen,
römische Casuisten hatten mir den Geist wie mit
einem grauen Spinnweb überzogen, mein Herz war

rend die Nachtigallen mit ihren ſuͤßeſten Toͤnen
ſein altes Herz erfreuen.

Vor dem Weender Thore begegneten mir zwey
eingeborne kleine Schulknaben, wovon der Eine
zum Andern ſagte: „Mit dem Theodor will ich
gar nicht mehr umgehen, er iſt ein Lumpenkerl,
denn geſtern wußte er nicht mal, wie der Ge¬
nitiv von Mensa heißt.“ So unbedeutend dieſe
Worte klingen, ſo muß ich ſie doch wieder erzaͤh¬
len, ja, ich moͤchte ſie als Stadt-Motto gleich
auf das Thor ſchreiben laſſen; denn die Jungen
piepſen wie die Alten pfeifen, und jene Worte
bezeichnen ganz den engen, trocknen Notizenſtolz
der hochgelahrten Georgia Auguſta.

Auf der Chauſſee wehte friſche Morgenluft, und
die Voͤgel ſangen gar freudig, und auch mir wurde
allmaͤhlig wieder friſch und freudig zu Muthe. Eine
ſolche Erquickung that Noth. Ich war die letzte
Zeit nicht aus dem Pandektenſtall herausgekommen,
roͤmiſche Caſuiſten hatten mir den Geiſt wie mit
einem grauen Spinnweb uͤberzogen, mein Herz war

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[119/0131] rend die Nachtigallen mit ihren ſuͤßeſten Toͤnen ſein altes Herz erfreuen. Vor dem Weender Thore begegneten mir zwey eingeborne kleine Schulknaben, wovon der Eine zum Andern ſagte: „Mit dem Theodor will ich gar nicht mehr umgehen, er iſt ein Lumpenkerl, denn geſtern wußte er nicht mal, wie der Ge¬ nitiv von Mensa heißt.“ So unbedeutend dieſe Worte klingen, ſo muß ich ſie doch wieder erzaͤh¬ len, ja, ich moͤchte ſie als Stadt-Motto gleich auf das Thor ſchreiben laſſen; denn die Jungen piepſen wie die Alten pfeifen, und jene Worte bezeichnen ganz den engen, trocknen Notizenſtolz der hochgelahrten Georgia Auguſta. Auf der Chauſſee wehte friſche Morgenluft, und die Voͤgel ſangen gar freudig, und auch mir wurde allmaͤhlig wieder friſch und freudig zu Muthe. Eine ſolche Erquickung that Noth. Ich war die letzte Zeit nicht aus dem Pandektenſtall herausgekommen, roͤmiſche Caſuiſten hatten mir den Geiſt wie mit einem grauen Spinnweb uͤberzogen, mein Herz war

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/131>, abgerufen am 26.11.2024.