Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

ganz randlos, wie ein abgekappter Kegel. In eine
solche Tracht, bloß ohne Hinterleder, wird der Be¬
suchende ebenfalls eingekleidet, und ein Bergmann,
ein Steiger, nachdem er sein Grubenlicht angezün¬
det, führt ihn nach einer dunkeln Oeffnung, die
wie ein Kaminfegeloch aussieht, steigt bis an die
Brust hinab, giebt Regeln, wie man sich an den
Leitern fest zu halten habe, und bittet angstlos zu
folgen. Die Sache selbst ist nichts weniger als
gefährlich; aber man glaubt es nicht im Anfang,
wenn man gar nichts vom Bergwerkswesen versteht.
Es giebt schon eine eigene Empfindung, daß man
sich ausziehen und die dunkle Delinquenten-Tracht
anziehen muß. Und nun soll man auf allen Vie¬
ren hinab klettern, und das dunkle Loch ist so dun¬
kel, und Gott weiß, wie lang die Leiter seyn mag.
Aber bald merkt man doch, daß es nicht eine ein¬
zige, in die schwarze Ewigkeit hinablaufende Leiter
ist, sondern daß es mehrere von funfzehn bis zwan¬
zig Sprossen sind, deren jede auf ein kleines Brett
führt, worauf man stehen kann, und worin wieder

10

ganz randlos, wie ein abgekappter Kegel. In eine
ſolche Tracht, bloß ohne Hinterleder, wird der Be¬
ſuchende ebenfalls eingekleidet, und ein Bergmann,
ein Steiger, nachdem er ſein Grubenlicht angezuͤn¬
det, fuͤhrt ihn nach einer dunkeln Oeffnung, die
wie ein Kaminfegeloch ausſieht, ſteigt bis an die
Bruſt hinab, giebt Regeln, wie man ſich an den
Leitern feſt zu halten habe, und bittet angſtlos zu
folgen. Die Sache ſelbſt iſt nichts weniger als
gefaͤhrlich; aber man glaubt es nicht im Anfang,
wenn man gar nichts vom Bergwerksweſen verſteht.
Es giebt ſchon eine eigene Empfindung, daß man
ſich ausziehen und die dunkle Delinquenten-Tracht
anziehen muß. Und nun ſoll man auf allen Vie¬
ren hinab klettern, und das dunkle Loch iſt ſo dun¬
kel, und Gott weiß, wie lang die Leiter ſeyn mag.
Aber bald merkt man doch, daß es nicht eine ein¬
zige, in die ſchwarze Ewigkeit hinablaufende Leiter
iſt, ſondern daß es mehrere von funfzehn bis zwan¬
zig Sproſſen ſind, deren jede auf ein kleines Brett
fuͤhrt, worauf man ſtehen kann, und worin wieder

10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="poem" n="1">
        <p><pb facs="#f0157" n="145"/>
ganz randlos, wie ein abgekappter Kegel. In eine<lb/>
&#x017F;olche Tracht, bloß ohne Hinterleder, wird der Be¬<lb/>
&#x017F;uchende ebenfalls eingekleidet, und ein Bergmann,<lb/>
ein Steiger, nachdem er &#x017F;ein Grubenlicht angezu&#x0364;<lb/>
det, fu&#x0364;hrt ihn nach einer dunkeln Oeffnung, die<lb/>
wie ein Kaminfegeloch aus&#x017F;ieht, &#x017F;teigt bis an die<lb/>
Bru&#x017F;t hinab, giebt Regeln, wie man &#x017F;ich an den<lb/>
Leitern fe&#x017F;t zu halten habe, und bittet ang&#x017F;tlos zu<lb/>
folgen. Die Sache &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t nichts weniger als<lb/>
gefa&#x0364;hrlich; aber man glaubt es nicht im Anfang,<lb/>
wenn man gar nichts vom Bergwerkswe&#x017F;en ver&#x017F;teht.<lb/>
Es giebt &#x017F;chon eine eigene Empfindung, daß man<lb/>
&#x017F;ich ausziehen und die dunkle Delinquenten-Tracht<lb/>
anziehen muß. Und nun &#x017F;oll man auf allen Vie¬<lb/>
ren hinab klettern, und das dunkle Loch i&#x017F;t &#x017F;o dun¬<lb/>
kel, und Gott weiß, wie lang die Leiter &#x017F;eyn mag.<lb/>
Aber bald merkt man doch, daß es nicht eine ein¬<lb/>
zige, in die &#x017F;chwarze Ewigkeit hinablaufende Leiter<lb/>
i&#x017F;t, &#x017F;ondern daß es mehrere von funfzehn bis zwan¬<lb/>
zig Spro&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind, deren jede auf ein kleines Brett<lb/>
fu&#x0364;hrt, worauf man &#x017F;tehen kann, und worin wieder<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">10<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0157] ganz randlos, wie ein abgekappter Kegel. In eine ſolche Tracht, bloß ohne Hinterleder, wird der Be¬ ſuchende ebenfalls eingekleidet, und ein Bergmann, ein Steiger, nachdem er ſein Grubenlicht angezuͤn¬ det, fuͤhrt ihn nach einer dunkeln Oeffnung, die wie ein Kaminfegeloch ausſieht, ſteigt bis an die Bruſt hinab, giebt Regeln, wie man ſich an den Leitern feſt zu halten habe, und bittet angſtlos zu folgen. Die Sache ſelbſt iſt nichts weniger als gefaͤhrlich; aber man glaubt es nicht im Anfang, wenn man gar nichts vom Bergwerksweſen verſteht. Es giebt ſchon eine eigene Empfindung, daß man ſich ausziehen und die dunkle Delinquenten-Tracht anziehen muß. Und nun ſoll man auf allen Vie¬ ren hinab klettern, und das dunkle Loch iſt ſo dun¬ kel, und Gott weiß, wie lang die Leiter ſeyn mag. Aber bald merkt man doch, daß es nicht eine ein¬ zige, in die ſchwarze Ewigkeit hinablaufende Leiter iſt, ſondern daß es mehrere von funfzehn bis zwan¬ zig Sproſſen ſind, deren jede auf ein kleines Brett fuͤhrt, worauf man ſtehen kann, und worin wieder 10

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/157
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/157>, abgerufen am 19.05.2024.