Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

löchern stürzten die wachsamen Zwerglein, schnitten
zornige Gesichter, hieben nach mir mit ihren kur¬
zen Schwerdtern, bliesen gellend in's Horn, daß
immer mehr und mehre herzu eilten, und es
wackelten entsetzlich ihre breiten Häupter. Wie ich
darauf zuschlug und das Blut heraus floß, merkte
ich erst, daß es die rothblühenden, langbärtigen
Distelköpfe waren, die ich den Tag vorher an der
Landstraße mit dem Stocke abgeschlagen hatte. Da
waren sie auch gleich alle verscheucht, und ich gelangte
in einen hellen Prachtsaal; in der Mitte stand,
weiß verschleiert, und wie eine Bildsäule starr und
regungslos, die Herzgeliebte, und ich küßte ihren
Mund, und, bey'm lebendigen Gott! ich fühlte den
beseligenden Hauch ihrer Seele und das süße Be¬
ben der lieblichen Lippen. Es war mir, als hörte
ich, wie Gott rief: "Es werde Licht!" blendend
schoß herab ein Strahl des ewigen Lichts; aber in
demselben Augenblick wurde es wieder Nacht, und
Alles rann chaotisch zusammen in ein wildes, wüstes
Meer. Ein wildes, wüstes Meer! über das gäh¬

loͤchern ſtuͤrzten die wachſamen Zwerglein, ſchnitten
zornige Geſichter, hieben nach mir mit ihren kur¬
zen Schwerdtern, blieſen gellend in's Horn, daß
immer mehr und mehre herzu eilten, und es
wackelten entſetzlich ihre breiten Haͤupter. Wie ich
darauf zuſchlug und das Blut heraus floß, merkte
ich erſt, daß es die rothbluͤhenden, langbaͤrtigen
Diſtelkoͤpfe waren, die ich den Tag vorher an der
Landſtraße mit dem Stocke abgeſchlagen hatte. Da
waren ſie auch gleich alle verſcheucht, und ich gelangte
in einen hellen Prachtſaal; in der Mitte ſtand,
weiß verſchleiert, und wie eine Bildſaͤule ſtarr und
regungslos, die Herzgeliebte, und ich kuͤßte ihren
Mund, und, bey'm lebendigen Gott! ich fuͤhlte den
beſeligenden Hauch ihrer Seele und das ſuͤße Be¬
ben der lieblichen Lippen. Es war mir, als hoͤrte
ich, wie Gott rief: “Es werde Licht!” blendend
ſchoß herab ein Strahl des ewigen Lichts; aber in
demſelben Augenblick wurde es wieder Nacht, und
Alles rann chaotiſch zuſammen in ein wildes, wuͤſtes
Meer. Ein wildes, wuͤſtes Meer! uͤber das gaͤh¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="poem" n="1">
        <p><pb facs="#f0169" n="157"/>
lo&#x0364;chern &#x017F;tu&#x0364;rzten die wach&#x017F;amen Zwerglein, &#x017F;chnitten<lb/>
zornige Ge&#x017F;ichter, hieben nach mir mit ihren kur¬<lb/>
zen Schwerdtern, blie&#x017F;en gellend in's Horn, daß<lb/>
immer mehr und mehre herzu eilten, und es<lb/>
wackelten ent&#x017F;etzlich ihre breiten Ha&#x0364;upter. Wie ich<lb/>
darauf zu&#x017F;chlug und das Blut heraus floß, merkte<lb/>
ich er&#x017F;t, daß es die rothblu&#x0364;henden, langba&#x0364;rtigen<lb/>
Di&#x017F;telko&#x0364;pfe waren, die ich den Tag vorher an der<lb/>
Land&#x017F;traße mit dem Stocke abge&#x017F;chlagen hatte. Da<lb/>
waren &#x017F;ie auch gleich alle ver&#x017F;cheucht, und ich gelangte<lb/>
in einen hellen Pracht&#x017F;aal; in der Mitte &#x017F;tand,<lb/>
weiß ver&#x017F;chleiert, und wie eine Bild&#x017F;a&#x0364;ule &#x017F;tarr und<lb/>
regungslos, die Herzgeliebte, und ich ku&#x0364;ßte ihren<lb/>
Mund, und, bey'm lebendigen Gott! ich fu&#x0364;hlte den<lb/>
be&#x017F;eligenden Hauch ihrer Seele und das &#x017F;u&#x0364;ße Be¬<lb/>
ben der lieblichen Lippen. Es war mir, als ho&#x0364;rte<lb/>
ich, wie Gott rief: &#x201C;Es werde Licht!&#x201D; blendend<lb/>
&#x017F;choß herab ein Strahl des ewigen Lichts; aber in<lb/>
dem&#x017F;elben Augenblick wurde es wieder Nacht, und<lb/>
Alles rann chaoti&#x017F;ch zu&#x017F;ammen in ein wildes, wu&#x0364;&#x017F;tes<lb/>
Meer. Ein wildes, wu&#x0364;&#x017F;tes Meer! u&#x0364;ber das ga&#x0364;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0169] loͤchern ſtuͤrzten die wachſamen Zwerglein, ſchnitten zornige Geſichter, hieben nach mir mit ihren kur¬ zen Schwerdtern, blieſen gellend in's Horn, daß immer mehr und mehre herzu eilten, und es wackelten entſetzlich ihre breiten Haͤupter. Wie ich darauf zuſchlug und das Blut heraus floß, merkte ich erſt, daß es die rothbluͤhenden, langbaͤrtigen Diſtelkoͤpfe waren, die ich den Tag vorher an der Landſtraße mit dem Stocke abgeſchlagen hatte. Da waren ſie auch gleich alle verſcheucht, und ich gelangte in einen hellen Prachtſaal; in der Mitte ſtand, weiß verſchleiert, und wie eine Bildſaͤule ſtarr und regungslos, die Herzgeliebte, und ich kuͤßte ihren Mund, und, bey'm lebendigen Gott! ich fuͤhlte den beſeligenden Hauch ihrer Seele und das ſuͤße Be¬ ben der lieblichen Lippen. Es war mir, als hoͤrte ich, wie Gott rief: “Es werde Licht!” blendend ſchoß herab ein Strahl des ewigen Lichts; aber in demſelben Augenblick wurde es wieder Nacht, und Alles rann chaotiſch zuſammen in ein wildes, wuͤſtes Meer. Ein wildes, wuͤſtes Meer! uͤber das gaͤh¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/169
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/169>, abgerufen am 11.12.2024.