Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Ich konnte nicht errathen, was dieser Unterschied
sagen soll; und es hat doch gewiß seine Bedeutung,
da die Deutschen die merkwürdige Gewohnheit ha¬
ben, daß sie bey Allem, was sie thun, sich auch
etwas denken.

In Gottschalk's "Handbuch" hatte ich von dem
uralten Dom und von dem berühmten Kaiserstuhl
zu Goslar viel gelesen. Als ich aber Beides be¬
sehen wollte, sagte man mir: der Dom sey nieder¬
gerissen und der Kaiserstuhl nach Berlin gebracht
worden. So wird einst der Wanderer nach Europa
kommen und vergebens nach Deutschland fragen.
Unsre lanzenkundigen Freunde werden es eingesteckt
und fortgeschleppt haben, unter ihren hohen Sät¬
teln. Wir leben in einer bedeutungschweren Zeit;
tausendjährige Dome werden abgebrochen, und Kai¬
serstühle in die Rumpelkammer geworfen.

Einige Merkwürdigkeiten des seligen Doms sind
jetzt in der Stephanskirche aufgestellt. Glasmale¬
reien, die wunderschön sind, einige schlechte Ge¬
mälde, worunter auch ein Lucas Cranach seyn soll,

11

Ich konnte nicht errathen, was dieſer Unterſchied
ſagen ſoll; und es hat doch gewiß ſeine Bedeutung,
da die Deutſchen die merkwuͤrdige Gewohnheit ha¬
ben, daß ſie bey Allem, was ſie thun, ſich auch
etwas denken.

In Gottſchalk's “Handbuch” hatte ich von dem
uralten Dom und von dem beruͤhmten Kaiſerſtuhl
zu Goslar viel geleſen. Als ich aber Beides be¬
ſehen wollte, ſagte man mir: der Dom ſey nieder¬
geriſſen und der Kaiſerſtuhl nach Berlin gebracht
worden. So wird einſt der Wanderer nach Europa
kommen und vergebens nach Deutſchland fragen.
Unſre lanzenkundigen Freunde werden es eingeſteckt
und fortgeſchleppt haben, unter ihren hohen Saͤt¬
teln. Wir leben in einer bedeutungſchweren Zeit;
tauſendjaͤhrige Dome werden abgebrochen, und Kai¬
ſerſtuͤhle in die Rumpelkammer geworfen.

Einige Merkwuͤrdigkeiten des ſeligen Doms ſind
jetzt in der Stephanskirche aufgeſtellt. Glasmale¬
reien, die wunderſchoͤn ſind, einige ſchlechte Ge¬
maͤlde, worunter auch ein Lucas Cranach ſeyn ſoll,

11
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="poem" n="1">
        <p><pb facs="#f0173" n="161"/>
Ich konnte nicht errathen, was die&#x017F;er Unter&#x017F;chied<lb/>
&#x017F;agen &#x017F;oll; und es hat doch gewiß &#x017F;eine Bedeutung,<lb/>
da die Deut&#x017F;chen die merkwu&#x0364;rdige Gewohnheit ha¬<lb/>
ben, daß &#x017F;ie bey Allem, was &#x017F;ie thun, &#x017F;ich auch<lb/>
etwas denken.</p><lb/>
        <p>In Gott&#x017F;chalk's &#x201C;Handbuch&#x201D; hatte ich von dem<lb/>
uralten Dom und von dem beru&#x0364;hmten Kai&#x017F;er&#x017F;tuhl<lb/>
zu Goslar viel gele&#x017F;en. Als ich aber Beides be¬<lb/>
&#x017F;ehen wollte, &#x017F;agte man mir: der Dom &#x017F;ey nieder¬<lb/>
geri&#x017F;&#x017F;en und der Kai&#x017F;er&#x017F;tuhl nach Berlin gebracht<lb/>
worden. So wird ein&#x017F;t der Wanderer nach Europa<lb/>
kommen und vergebens nach Deut&#x017F;chland fragen.<lb/>
Un&#x017F;re lanzenkundigen Freunde werden es einge&#x017F;teckt<lb/>
und fortge&#x017F;chleppt haben, unter ihren hohen Sa&#x0364;t¬<lb/>
teln. Wir leben in einer bedeutung&#x017F;chweren Zeit;<lb/>
tau&#x017F;endja&#x0364;hrige Dome werden abgebrochen, und Kai¬<lb/>
&#x017F;er&#x017F;tu&#x0364;hle in die Rumpelkammer geworfen.</p><lb/>
        <p>Einige Merkwu&#x0364;rdigkeiten des &#x017F;eligen Doms &#x017F;ind<lb/>
jetzt in der Stephanskirche aufge&#x017F;tellt. Glasmale¬<lb/>
reien, die wunder&#x017F;cho&#x0364;n &#x017F;ind, einige &#x017F;chlechte Ge¬<lb/>
ma&#x0364;lde, worunter auch ein Lucas Cranach &#x017F;eyn &#x017F;oll,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">11<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[161/0173] Ich konnte nicht errathen, was dieſer Unterſchied ſagen ſoll; und es hat doch gewiß ſeine Bedeutung, da die Deutſchen die merkwuͤrdige Gewohnheit ha¬ ben, daß ſie bey Allem, was ſie thun, ſich auch etwas denken. In Gottſchalk's “Handbuch” hatte ich von dem uralten Dom und von dem beruͤhmten Kaiſerſtuhl zu Goslar viel geleſen. Als ich aber Beides be¬ ſehen wollte, ſagte man mir: der Dom ſey nieder¬ geriſſen und der Kaiſerſtuhl nach Berlin gebracht worden. So wird einſt der Wanderer nach Europa kommen und vergebens nach Deutſchland fragen. Unſre lanzenkundigen Freunde werden es eingeſteckt und fortgeſchleppt haben, unter ihren hohen Saͤt¬ teln. Wir leben in einer bedeutungſchweren Zeit; tauſendjaͤhrige Dome werden abgebrochen, und Kai¬ ſerſtuͤhle in die Rumpelkammer geworfen. Einige Merkwuͤrdigkeiten des ſeligen Doms ſind jetzt in der Stephanskirche aufgeſtellt. Glasmale¬ reien, die wunderſchoͤn ſind, einige ſchlechte Ge¬ maͤlde, worunter auch ein Lucas Cranach ſeyn ſoll, 11

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/173
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/173>, abgerufen am 20.05.2024.