quibus auxiliis? cur? quomodo? quando? Dieser Fremde war ein alter, müder, abgetragener Mann, der, wie aus seinen Reden hervorging, die ganze Welt durchwandert, besonders lang auf Batavia gelebt, viel Geld erworben und wieder alles verlo¬ ren hatte, und jetzt, nach dreyzigjähriger Abwe¬ senheit nach Quedlinburg, seiner Vaterstadt, zu¬ rückkehrte, -- "denn" setzte er hinzu, "unsre Familie hat dort ihr Erbbegräbniß." Der Herr Wirth machte die sehr aufgeklärte Bemerkung: daß es doch für die Seele gleichgültig sey, wo unser Leib begraben wird. "Haben Sie es schriftlich?" ant¬ wortete der Fremde, und dabey zogen sich unheim¬ lich schlaue Ringe um seine kümmerlichen Lippen und verblichenen Aeugelein. "Aber" setzte er ängst¬ lich begütigend hinzu, "ich will darum über fremde Gräber doch nichts böses gesagt haben; -- die Tür¬ ken begraben ihre Todten noch weit schöner als wir, ihre Kirchhöfe sind ordentlich Gärten, und da sitzen sie auf ihren weißen, beturbanten Grabstei¬ nen, unter dem Schatten einer Zypresse, und strei¬
quibus auxiliis? cur? quomodo? quando? Dieſer Fremde war ein alter, muͤder, abgetragener Mann, der, wie aus ſeinen Reden hervorging, die ganze Welt durchwandert, beſonders lang auf Batavia gelebt, viel Geld erworben und wieder alles verlo¬ ren hatte, und jetzt, nach dreyzigjaͤhriger Abwe¬ ſenheit nach Quedlinburg, ſeiner Vaterſtadt, zu¬ ruͤckkehrte, — “denn” ſetzte er hinzu, “unſre Familie hat dort ihr Erbbegraͤbniß.” Der Herr Wirth machte die ſehr aufgeklaͤrte Bemerkung: daß es doch fuͤr die Seele gleichguͤltig ſey, wo unſer Leib begraben wird. “Haben Sie es ſchriftlich?” ant¬ wortete der Fremde, und dabey zogen ſich unheim¬ lich ſchlaue Ringe um ſeine kuͤmmerlichen Lippen und verblichenen Aeugelein. “Aber” ſetzte er aͤngſt¬ lich beguͤtigend hinzu, “ich will darum uͤber fremde Graͤber doch nichts boͤſes geſagt haben; — die Tuͤr¬ ken begraben ihre Todten noch weit ſchoͤner als wir, ihre Kirchhoͤfe ſind ordentlich Gaͤrten, und da ſitzen ſie auf ihren weißen, beturbanten Grabſtei¬ nen, unter dem Schatten einer Zypreſſe, und ſtrei¬
<TEI><text><body><divtype="poem"n="1"><p><hirendition="#aq"><pbfacs="#f0176"n="164"/>
quibus auxiliis? cur? quomodo? quando?</hi> Dieſer<lb/>
Fremde war ein alter, muͤder, abgetragener Mann,<lb/>
der, wie aus ſeinen Reden hervorging, die ganze<lb/>
Welt durchwandert, beſonders lang auf Batavia<lb/>
gelebt, viel Geld erworben und wieder alles verlo¬<lb/>
ren hatte, und jetzt, nach dreyzigjaͤhriger Abwe¬<lb/>ſenheit nach Quedlinburg, ſeiner Vaterſtadt, zu¬<lb/>
ruͤckkehrte, —“denn”ſetzte er hinzu, “unſre<lb/>
Familie hat dort ihr Erbbegraͤbniß.” Der Herr<lb/>
Wirth machte die ſehr aufgeklaͤrte Bemerkung: daß<lb/>
es doch fuͤr die Seele gleichguͤltig ſey, wo unſer Leib<lb/>
begraben wird. “Haben Sie es ſchriftlich?” ant¬<lb/>
wortete der Fremde, und dabey zogen ſich unheim¬<lb/>
lich ſchlaue Ringe um ſeine kuͤmmerlichen Lippen<lb/>
und verblichenen Aeugelein. “Aber”ſetzte er aͤngſt¬<lb/>
lich beguͤtigend hinzu, “ich will darum uͤber fremde<lb/>
Graͤber doch nichts boͤſes geſagt haben; — die Tuͤr¬<lb/>
ken begraben ihre Todten noch weit ſchoͤner als<lb/>
wir, ihre Kirchhoͤfe ſind ordentlich Gaͤrten, und da<lb/>ſitzen ſie auf ihren weißen, beturbanten Grabſtei¬<lb/>
nen, unter dem Schatten einer Zypreſſe, und ſtrei¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[164/0176]
quibus auxiliis? cur? quomodo? quando? Dieſer
Fremde war ein alter, muͤder, abgetragener Mann,
der, wie aus ſeinen Reden hervorging, die ganze
Welt durchwandert, beſonders lang auf Batavia
gelebt, viel Geld erworben und wieder alles verlo¬
ren hatte, und jetzt, nach dreyzigjaͤhriger Abwe¬
ſenheit nach Quedlinburg, ſeiner Vaterſtadt, zu¬
ruͤckkehrte, — “denn” ſetzte er hinzu, “unſre
Familie hat dort ihr Erbbegraͤbniß.” Der Herr
Wirth machte die ſehr aufgeklaͤrte Bemerkung: daß
es doch fuͤr die Seele gleichguͤltig ſey, wo unſer Leib
begraben wird. “Haben Sie es ſchriftlich?” ant¬
wortete der Fremde, und dabey zogen ſich unheim¬
lich ſchlaue Ringe um ſeine kuͤmmerlichen Lippen
und verblichenen Aeugelein. “Aber” ſetzte er aͤngſt¬
lich beguͤtigend hinzu, “ich will darum uͤber fremde
Graͤber doch nichts boͤſes geſagt haben; — die Tuͤr¬
ken begraben ihre Todten noch weit ſchoͤner als
wir, ihre Kirchhoͤfe ſind ordentlich Gaͤrten, und da
ſitzen ſie auf ihren weißen, beturbanten Grabſtei¬
nen, unter dem Schatten einer Zypreſſe, und ſtrei¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/176>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.