Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

Gründlichkeit zeigt er uns, klar und deutlich, wie
ein Riesen-Panorama, die vielen hundert Städte,
Städtchen und Dörfer, die meistens nördlich liegen,
und ringsrum alle Berge, Wälder, Flüsse, Flächen,
unendlich weit. Aber eben dadurch erscheint Alles
wie eine scharfgezeichnete, rein illuminirte Spezial¬
karte, nirgends wird das Auge durch eigentlich
schöne Landschaften erfreut; wie es immer geschieht,
daß wir deutschen Compilatoren, wegen der ehrli¬
chen Genauigkeit, womit wir Alles und Alles hin¬
geben wollen, nie daran denken können, das Ein¬
zelne auf eine schöne Weise zu geben. Der Berg
hat auch so etwas Deutschruhiges, Verständiges,
Tolerantes; eben weil er die Dinge so weit und klar
überschauen kann. Und wenn solch ein Berg seine
Riesen-Augen öffnet, mag er wohl noch etwas
mehr sehen, als wir Zwerge, die wir mit unsern
blöden Aeuglein auf ihm herum klettern. Viele
wollen zwar behaupten, der Brocken sey sehr phi¬
liströse, und Claudius sang: "Der Blocksberg ist
der lange Herr Philister!" Aber das ist Irrthum.

Gruͤndlichkeit zeigt er uns, klar und deutlich, wie
ein Rieſen-Panorama, die vielen hundert Staͤdte,
Staͤdtchen und Doͤrfer, die meiſtens noͤrdlich liegen,
und ringsrum alle Berge, Waͤlder, Fluͤſſe, Flaͤchen,
unendlich weit. Aber eben dadurch erſcheint Alles
wie eine ſcharfgezeichnete, rein illuminirte Spezial¬
karte, nirgends wird das Auge durch eigentlich
ſchoͤne Landſchaften erfreut; wie es immer geſchieht,
daß wir deutſchen Compilatoren, wegen der ehrli¬
chen Genauigkeit, womit wir Alles und Alles hin¬
geben wollen, nie daran denken koͤnnen, das Ein¬
zelne auf eine ſchoͤne Weiſe zu geben. Der Berg
hat auch ſo etwas Deutſchruhiges, Verſtaͤndiges,
Tolerantes; eben weil er die Dinge ſo weit und klar
uͤberſchauen kann. Und wenn ſolch ein Berg ſeine
Rieſen-Augen oͤffnet, mag er wohl noch etwas
mehr ſehen, als wir Zwerge, die wir mit unſern
bloͤden Aeuglein auf ihm herum klettern. Viele
wollen zwar behaupten, der Brocken ſey ſehr phi¬
liſtroͤſe, und Claudius ſang: “Der Blocksberg iſt
der lange Herr Philiſter!” Aber das iſt Irrthum.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="poem" n="1">
        <p><pb facs="#f0217" n="205"/>
Gru&#x0364;ndlichkeit zeigt er uns, klar und deutlich, wie<lb/>
ein Rie&#x017F;en-Panorama, die vielen hundert Sta&#x0364;dte,<lb/>
Sta&#x0364;dtchen und Do&#x0364;rfer, die mei&#x017F;tens no&#x0364;rdlich liegen,<lb/>
und ringsrum alle Berge, Wa&#x0364;lder, Flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, Fla&#x0364;chen,<lb/>
unendlich weit. Aber eben dadurch er&#x017F;cheint Alles<lb/>
wie eine &#x017F;charfgezeichnete, rein illuminirte Spezial¬<lb/>
karte, nirgends wird das Auge durch eigentlich<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;ne Land&#x017F;chaften erfreut; wie es immer ge&#x017F;chieht,<lb/>
daß wir deut&#x017F;chen Compilatoren, wegen der ehrli¬<lb/>
chen Genauigkeit, womit wir Alles und Alles hin¬<lb/>
geben wollen, nie daran denken ko&#x0364;nnen, das Ein¬<lb/>
zelne auf eine &#x017F;cho&#x0364;ne Wei&#x017F;e zu geben. Der Berg<lb/>
hat auch &#x017F;o etwas Deut&#x017F;chruhiges, Ver&#x017F;ta&#x0364;ndiges,<lb/>
Tolerantes; eben weil er die Dinge &#x017F;o weit und klar<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;chauen kann. Und wenn &#x017F;olch ein Berg &#x017F;eine<lb/>
Rie&#x017F;en-Augen o&#x0364;ffnet, mag er wohl noch etwas<lb/>
mehr &#x017F;ehen, als wir Zwerge, die wir mit un&#x017F;ern<lb/>
blo&#x0364;den Aeuglein auf ihm herum klettern. Viele<lb/>
wollen zwar behaupten, der Brocken &#x017F;ey &#x017F;ehr phi¬<lb/>
li&#x017F;tro&#x0364;&#x017F;e, und Claudius &#x017F;ang: &#x201C;Der Blocksberg i&#x017F;t<lb/>
der lange Herr Phili&#x017F;ter!&#x201D; Aber das i&#x017F;t Irrthum.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[205/0217] Gruͤndlichkeit zeigt er uns, klar und deutlich, wie ein Rieſen-Panorama, die vielen hundert Staͤdte, Staͤdtchen und Doͤrfer, die meiſtens noͤrdlich liegen, und ringsrum alle Berge, Waͤlder, Fluͤſſe, Flaͤchen, unendlich weit. Aber eben dadurch erſcheint Alles wie eine ſcharfgezeichnete, rein illuminirte Spezial¬ karte, nirgends wird das Auge durch eigentlich ſchoͤne Landſchaften erfreut; wie es immer geſchieht, daß wir deutſchen Compilatoren, wegen der ehrli¬ chen Genauigkeit, womit wir Alles und Alles hin¬ geben wollen, nie daran denken koͤnnen, das Ein¬ zelne auf eine ſchoͤne Weiſe zu geben. Der Berg hat auch ſo etwas Deutſchruhiges, Verſtaͤndiges, Tolerantes; eben weil er die Dinge ſo weit und klar uͤberſchauen kann. Und wenn ſolch ein Berg ſeine Rieſen-Augen oͤffnet, mag er wohl noch etwas mehr ſehen, als wir Zwerge, die wir mit unſern bloͤden Aeuglein auf ihm herum klettern. Viele wollen zwar behaupten, der Brocken ſey ſehr phi¬ liſtroͤſe, und Claudius ſang: “Der Blocksberg iſt der lange Herr Philiſter!” Aber das iſt Irrthum.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/217
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/217>, abgerufen am 04.12.2024.