gelangte, ihr Antlitz leuchtete mir entgegen in sonnigster Pracht, aus allen Zügen hauchte eine kolossale Zärtlichkeit, und aus der bezwunge¬ nen Felsenbrust drang es hervor wie Sehnsucht¬ seufzer und schmelzende Laute der Wehmuth. Min¬ der zärtlich, aber fröhlicher zeigte sich mir die schöne Selke, die schöne, liebenswürdige Dame, deren edle Einfalt und heitre Ruhe alle sentimen¬ tale Familiarität entfernt hält, die aber doch durch ein halbverstecktes Lächeln ihren neckenden Sinn verräth; und diesem möchte ich es wohl zu¬ schreiben, daß mich im Selkethale gar mancherley kleines Ungemach heimsuchte, daß ich, indem ich über das Wasser springen wollte, just in die Mitte hineinplumpste, daß nachher, als ich das nasse Fußzeug mit Pantoffeln vertauscht hatte, einer derselben mir abhanden, oder vielmehr ab¬ füßen kam, daß mir ein Windstoß die Mütze entführte, daß mir Wald-Dorne die Beine zerfetzten, u. leider s. w. Doch all dieses Unge¬ mach verzeihe ich gern der schönen Dame, denn
gelangte, ihr Antlitz leuchtete mir entgegen in ſonnigſter Pracht, aus allen Zuͤgen hauchte eine koloſſale Zaͤrtlichkeit, und aus der bezwunge¬ nen Felſenbruſt drang es hervor wie Sehnſucht¬ ſeufzer und ſchmelzende Laute der Wehmuth. Min¬ der zaͤrtlich, aber froͤhlicher zeigte ſich mir die ſchoͤne Selke, die ſchoͤne, liebenswuͤrdige Dame, deren edle Einfalt und heitre Ruhe alle ſentimen¬ tale Familiaritaͤt entfernt haͤlt, die aber doch durch ein halbverſtecktes Laͤcheln ihren neckenden Sinn verraͤth; und dieſem moͤchte ich es wohl zu¬ ſchreiben, daß mich im Selkethale gar mancherley kleines Ungemach heimſuchte, daß ich, indem ich uͤber das Waſſer ſpringen wollte, juſt in die Mitte hineinplumpſte, daß nachher, als ich das naſſe Fußzeug mit Pantoffeln vertauſcht hatte, einer derſelben mir abhanden, oder vielmehr ab¬ fuͤßen kam, daß mir ein Windſtoß die Muͤtze entfuͤhrte, daß mir Wald-Dorne die Beine zerfetzten, u. leider ſ. w. Doch all dieſes Unge¬ mach verzeihe ich gern der ſchoͤnen Dame, denn
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gelangte, ihr Antlitz leuchtete mir entgegen in
ſonnigſter Pracht, aus allen Zuͤgen hauchte eine
koloſſale Zaͤrtlichkeit, und aus der bezwunge¬
nen Felſenbruſt drang es hervor wie Sehnſucht¬
ſeufzer und ſchmelzende Laute der Wehmuth. Min¬
der zaͤrtlich, aber froͤhlicher zeigte ſich mir die
ſchoͤne Selke, die ſchoͤne, liebenswuͤrdige Dame,
deren edle Einfalt und heitre Ruhe alle ſentimen¬
tale Familiaritaͤt entfernt haͤlt, die aber doch durch
ein halbverſtecktes Laͤcheln ihren neckenden Sinn
verraͤth; und dieſem moͤchte ich es wohl zu¬
ſchreiben, daß mich im Selkethale gar mancherley
kleines Ungemach heimſuchte, daß ich, indem ich
uͤber das Waſſer ſpringen wollte, juſt in die Mitte
hineinplumpſte, daß nachher, als ich das naſſe
Fußzeug mit Pantoffeln vertauſcht hatte, einer
derſelben mir abhanden, oder vielmehr ab¬
fuͤßen kam, daß mir ein Windſtoß die Muͤtze
entfuͤhrte, daß mir Wald-Dorne die Beine
zerfetzten, u. leider ſ. w. Doch all dieſes Unge¬
mach verzeihe ich gern der ſchoͤnen Dame, denn
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/266>, abgerufen am 22.11.2024.
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