Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.Nach dem großen Dome, Mich selbst ergreift des fernen Klangs
Geheimnißvoller Schauer, Unendliches Sehnen, tiefe Wehmuth Beschleicht mein Herz, Mein kaumgeheiltes Herz; Mir ist als würden seine Wunden Von lieben Lippen aufgeküßt, Und thäten wieder bluten, Heiße, rothe Tropfen, Die lang und langsam niederfall'n Auf ein altes Haus dort unten In der tiefen Meerstadt, Auf ein altes, hochgegiebeltes Haus, Das melancholisch menschenleer ist, Nur daß am untern Fenster Ein Mädchen sitzt, Den Kopf auf den Arm gestützt, Wie ein armes, vergessenes Kind -- Und ich kenne dich armes, vergessenes Kind! Nach dem großen Dome, Mich ſelbſt ergreift des fernen Klangs
Geheimnißvoller Schauer, Unendliches Sehnen, tiefe Wehmuth Beſchleicht mein Herz, Mein kaumgeheiltes Herz; Mir iſt als wuͤrden ſeine Wunden Von lieben Lippen aufgekuͤßt, Und thaͤten wieder bluten, Heiße, rothe Tropfen, Die lang und langſam niederfall'n Auf ein altes Haus dort unten In der tiefen Meerſtadt, Auf ein altes, hochgegiebeltes Haus, Das melancholiſch menſchenleer iſt, Nur daß am untern Fenſter Ein Maͤdchen ſitzt, Den Kopf auf den Arm geſtuͤtzt, Wie ein armes, vergeſſenes Kind — Und ich kenne dich armes, vergeſſenes Kind! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <lg n="1"> <pb facs="#f0304" n="292"/> <l>Nach dem großen Dome,</l><lb/> <l>Getrieben von Glockengelaͤute</l><lb/> <l>Und rauſchendem Orgelton.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Mich ſelbſt ergreift des fernen Klangs</l><lb/> <l>Geheimnißvoller Schauer,</l><lb/> <l>Unendliches Sehnen, tiefe Wehmuth</l><lb/> <l>Beſchleicht mein Herz,</l><lb/> <l>Mein kaumgeheiltes Herz;</l><lb/> <l>Mir iſt als wuͤrden ſeine Wunden</l><lb/> <l>Von lieben Lippen aufgekuͤßt,</l><lb/> <l>Und thaͤten wieder bluten,</l><lb/> <l>Heiße, rothe Tropfen,</l><lb/> <l>Die lang und langſam niederfall'n</l><lb/> <l>Auf ein altes Haus dort unten</l><lb/> <l>In der tiefen Meerſtadt,</l><lb/> <l>Auf ein altes, hochgegiebeltes Haus,</l><lb/> <l>Das melancholiſch menſchenleer iſt,</l><lb/> <l>Nur daß am untern Fenſter</l><lb/> <l>Ein Maͤdchen ſitzt,</l><lb/> <l>Den Kopf auf den Arm geſtuͤtzt,</l><lb/> <l>Wie ein armes, vergeſſenes Kind —</l><lb/> <l>Und ich kenne dich armes, vergeſſenes Kind!</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [292/0304]
Nach dem großen Dome,
Getrieben von Glockengelaͤute
Und rauſchendem Orgelton.
Mich ſelbſt ergreift des fernen Klangs
Geheimnißvoller Schauer,
Unendliches Sehnen, tiefe Wehmuth
Beſchleicht mein Herz,
Mein kaumgeheiltes Herz;
Mir iſt als wuͤrden ſeine Wunden
Von lieben Lippen aufgekuͤßt,
Und thaͤten wieder bluten,
Heiße, rothe Tropfen,
Die lang und langſam niederfall'n
Auf ein altes Haus dort unten
In der tiefen Meerſtadt,
Auf ein altes, hochgegiebeltes Haus,
Das melancholiſch menſchenleer iſt,
Nur daß am untern Fenſter
Ein Maͤdchen ſitzt,
Den Kopf auf den Arm geſtuͤtzt,
Wie ein armes, vergeſſenes Kind —
Und ich kenne dich armes, vergeſſenes Kind!
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