Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.In alten Mährchen giebt es gold'ne Schlösser, Wo Harfen klingen, schöne Jungfrau'n tanzen, Und schmucke Diener blitzen, und Jasmin Und Myrth' und Rosen ihren Duft verbreiten -- Und doch ein einziges Entzaubrungswort Macht all die Herrlichkeit im Nu zerstieben, Und übrig bleibt nur alter Trümmerschutt Und krächzend Nachtgevögel und Morast. So hab' auch ich, mit einem einz'gen Worte, Die ganze blühende Natur entzaubert. Da liegt sie nun leblos und kalt und fahl, Wie eine aufgeputzte Königsleiche, Der man die Backenknochen roth gefärbt Und in die Hand ein Zepter hat gelegt. Die Lippen aber schauen gelb und welk, Weil man vergaß sie gleichfalls roth zu schminken, Und Mäuse springen um die Königsnase, Und spotten frech des großen, goldnen Zepters. -- Es ist allgemein rezipirt, Madame, daß man In alten Maͤhrchen giebt es gold'ne Schloͤſſer, Wo Harfen klingen, ſchoͤne Jungfrau'n tanzen, Und ſchmucke Diener blitzen, und Jasmin Und Myrth' und Roſen ihren Duft verbreiten — Und doch ein einziges Entzaubrungswort Macht all die Herrlichkeit im Nu zerſtieben, Und uͤbrig bleibt nur alter Truͤmmerſchutt Und kraͤchzend Nachtgevoͤgel und Moraſt. So hab' auch ich, mit einem einz'gen Worte, Die ganze bluͤhende Natur entzaubert. Da liegt ſie nun leblos und kalt und fahl, Wie eine aufgeputzte Koͤnigsleiche, Der man die Backenknochen roth gefaͤrbt Und in die Hand ein Zepter hat gelegt. Die Lippen aber ſchauen gelb und welk, Weil man vergaß ſie gleichfalls roth zu ſchminken, Und Maͤuſe ſpringen um die Koͤnigsnaſe, Und ſpotten frech des großen, goldnen Zepters. — Es iſt allgemein rezipirt, Madame, daß man <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0151" n="143"/> <lg type="poem"> <l>In alten Maͤhrchen giebt es gold'ne Schloͤſſer,</l><lb/> <l>Wo Harfen klingen, ſchoͤne Jungfrau'n tanzen,</l><lb/> <l>Und ſchmucke Diener blitzen, und Jasmin</l><lb/> <l>Und Myrth' und Roſen ihren Duft verbreiten —</l><lb/> <l>Und doch ein einziges Entzaubrungswort</l><lb/> <l>Macht all die Herrlichkeit im Nu zerſtieben,</l><lb/> <l>Und uͤbrig bleibt nur alter Truͤmmerſchutt</l><lb/> <l>Und kraͤchzend Nachtgevoͤgel und Moraſt.</l><lb/> <l>So hab' auch ich, mit einem einz'gen Worte,</l><lb/> <l>Die ganze bluͤhende Natur entzaubert.</l><lb/> <l>Da liegt ſie nun leblos und kalt und fahl,</l><lb/> <l>Wie eine aufgeputzte Koͤnigsleiche,</l><lb/> <l>Der man die Backenknochen roth gefaͤrbt</l><lb/> <l>Und in die Hand ein Zepter hat gelegt.</l><lb/> <l>Die Lippen aber ſchauen gelb und welk,</l><lb/> <l>Weil man vergaß ſie gleichfalls roth zu ſchminken,</l><lb/> <l>Und Maͤuſe ſpringen um die Koͤnigsnaſe,</l><lb/> <l>Und ſpotten frech des großen, goldnen Zepters. —</l><lb/> </lg> <p>Es iſt allgemein rezipirt, Madame, daß man<lb/> einen Monolog haͤlt, ehe man ſich todt ſchießt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [143/0151]
In alten Maͤhrchen giebt es gold'ne Schloͤſſer,
Wo Harfen klingen, ſchoͤne Jungfrau'n tanzen,
Und ſchmucke Diener blitzen, und Jasmin
Und Myrth' und Roſen ihren Duft verbreiten —
Und doch ein einziges Entzaubrungswort
Macht all die Herrlichkeit im Nu zerſtieben,
Und uͤbrig bleibt nur alter Truͤmmerſchutt
Und kraͤchzend Nachtgevoͤgel und Moraſt.
So hab' auch ich, mit einem einz'gen Worte,
Die ganze bluͤhende Natur entzaubert.
Da liegt ſie nun leblos und kalt und fahl,
Wie eine aufgeputzte Koͤnigsleiche,
Der man die Backenknochen roth gefaͤrbt
Und in die Hand ein Zepter hat gelegt.
Die Lippen aber ſchauen gelb und welk,
Weil man vergaß ſie gleichfalls roth zu ſchminken,
Und Maͤuſe ſpringen um die Koͤnigsnaſe,
Und ſpotten frech des großen, goldnen Zepters. —
Es iſt allgemein rezipirt, Madame, daß man
einen Monolog haͤlt, ehe man ſich todt ſchießt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |