ren von einem so reinen, innigen Blau, wie ich es noch nie bey Menschen und nur selten bey Blumen gefunden; man sah gern hinein und konnte sich so recht viel Süßes dabey denken. Aber die schöne Hedwig liebte mich; denn wenn ich zu ihr trat, beugte sie das Haupt zur Erde, so daß die schwarzen Locken über das erröthende Gesicht herabfielen, und die glänzenden Augen wie Sterne aus dunkelem Himmel hervorleuch¬ teten. Ihre verschämten Lippen sprachen kein Wort, und auch ich konnte ihr nichts sagen. Ich hustete und sie zitterte. Sie ließ mich manchmal durch ihre Schwester bitten, nicht so rasch die Felsen zu besteigen, und nicht im Rheine zu baden, wenn ich mich heiß gelau¬ fen oder getrunken. Ich behorchte mal ihr andächtiges Gebet vor dem Marienbildchen, das mit Goldflittern geziert und von einem brennenden Lämpchen umflimmert, in einer Nische der Hausflur stand; ich hörte deutlich, wie sie die Muttergottes bat: Ihm das Klet¬
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ren von einem ſo reinen, innigen Blau, wie ich es noch nie bey Menſchen und nur ſelten bey Blumen gefunden; man ſah gern hinein und konnte ſich ſo recht viel Suͤßes dabey denken. Aber die ſchoͤne Hedwig liebte mich; denn wenn ich zu ihr trat, beugte ſie das Haupt zur Erde, ſo daß die ſchwarzen Locken uͤber das erroͤthende Geſicht herabfielen, und die glaͤnzenden Augen wie Sterne aus dunkelem Himmel hervorleuch¬ teten. Ihre verſchaͤmten Lippen ſprachen kein Wort, und auch ich konnte ihr nichts ſagen. Ich huſtete und ſie zitterte. Sie ließ mich manchmal durch ihre Schweſter bitten, nicht ſo raſch die Felſen zu beſteigen, und nicht im Rheine zu baden, wenn ich mich heiß gelau¬ fen oder getrunken. Ich behorchte mal ihr andaͤchtiges Gebet vor dem Marienbildchen, das mit Goldflittern geziert und von einem brennenden Laͤmpchen umflimmert, in einer Niſche der Hausflur ſtand; ich hoͤrte deutlich, wie ſie die Muttergottes bat: Ihm das Klet¬
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ren von einem ſo reinen, innigen Blau, wie ich
es noch nie bey Menſchen und nur ſelten bey
Blumen gefunden; man ſah gern hinein und
konnte ſich ſo recht viel Suͤßes dabey denken.
Aber die ſchoͤne Hedwig liebte mich; denn wenn
ich zu ihr trat, beugte ſie das Haupt zur Erde,
ſo daß die ſchwarzen Locken uͤber das erroͤthende
Geſicht herabfielen, und die glaͤnzenden Augen
wie Sterne aus dunkelem Himmel hervorleuch¬
teten. Ihre verſchaͤmten Lippen ſprachen kein
Wort, und auch ich konnte ihr nichts ſagen.
Ich huſtete und ſie zitterte. Sie ließ mich
manchmal durch ihre Schweſter bitten, nicht
ſo raſch die Felſen zu beſteigen, und nicht im
Rheine zu baden, wenn ich mich heiß gelau¬
fen oder getrunken. Ich behorchte mal ihr
andaͤchtiges Gebet vor dem Marienbildchen,
das mit Goldflittern geziert und von einem
brennenden Laͤmpchen umflimmert, in einer
Niſche der Hausflur ſtand; ich hoͤrte deutlich,
wie ſie die Muttergottes bat: Ihm das Klet¬
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/169>, abgerufen am 22.11.2024.
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