vernarbtem Soldatengesicht, plötzlich so stark weint. Während wir lasen, wurde auch das kurfürstliche Wappen vom Rathhause herunter¬ genommen, alles gestaltete sich so beängstigend öde, es war, als ob man eine Sonnenfinsterniß erwarte, die Herren Rathsherren gingen so ab¬ gedankt und langsam umher, sogar der allge¬ waltige Gassenvogt sah aus, als wenn er nichts mehr zu befehlen hätte, und stand da so fried¬ lich-gleichgültig, obgleich der tolle Alouisius sich wieder auf ein Bein stellte und mit närrischer Grimasse die Namen der französischen Generale herschnatterte, während der besoffene, krumme Gumpertz sich in der Gosse herumwälzte 'und ca ira, ca ira! sang. --
Ich aber ging nach Hause, und weinte und klagte: "der Kurfürst läßt sich bedanken." Meine Mutter hatte ihre liebe Noth, ich wußte was ich wußte, ich ließ mir nichts ausreden, ich ging weinend zu Bette, und in der Nacht
vernarbtem Soldatengeſicht, ploͤtzlich ſo ſtark weint. Waͤhrend wir laſen, wurde auch das kurfuͤrſtliche Wappen vom Rathhauſe herunter¬ genommen, alles geſtaltete ſich ſo beaͤngſtigend oͤde, es war, als ob man eine Sonnenfinſterniß erwarte, die Herren Rathsherren gingen ſo ab¬ gedankt und langſam umher, ſogar der allge¬ waltige Gaſſenvogt ſah aus, als wenn er nichts mehr zu befehlen haͤtte, und ſtand da ſo fried¬ lich-gleichguͤltig, obgleich der tolle Alouiſius ſich wieder auf ein Bein ſtellte und mit naͤrriſcher Grimaſſe die Namen der franzoͤſiſchen Generale herſchnatterte, waͤhrend der beſoffene, krumme Gumpertz ſich in der Goſſe herumwaͤlzte 'und ça ira, ça ira! ſang. —
Ich aber ging nach Hauſe, und weinte und klagte: „der Kurfuͤrſt laͤßt ſich bedanken.“ Meine Mutter hatte ihre liebe Noth, ich wußte was ich wußte, ich ließ mir nichts ausreden, ich ging weinend zu Bette, und in der Nacht
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vernarbtem Soldatengeſicht, ploͤtzlich ſo ſtark
weint. Waͤhrend wir laſen, wurde auch das
kurfuͤrſtliche Wappen vom Rathhauſe herunter¬
genommen, alles geſtaltete ſich ſo beaͤngſtigend
oͤde, es war, als ob man eine Sonnenfinſterniß
erwarte, die Herren Rathsherren gingen ſo ab¬
gedankt und langſam umher, ſogar der allge¬
waltige Gaſſenvogt ſah aus, als wenn er nichts
mehr zu befehlen haͤtte, und ſtand da ſo fried¬
lich-gleichguͤltig, obgleich der tolle Alouiſius ſich
wieder auf ein Bein ſtellte und mit naͤrriſcher
Grimaſſe die Namen der franzoͤſiſchen Generale
herſchnatterte, waͤhrend der beſoffene, krumme
Gumpertz ſich in der Goſſe herumwaͤlzte 'und
ça ira, ça ira! ſang. —
Ich aber ging nach Hauſe, und weinte und
klagte: „der Kurfuͤrſt laͤßt ſich bedanken.“
Meine Mutter hatte ihre liebe Noth, ich wußte
was ich wußte, ich ließ mir nichts ausreden,
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/182>, abgerufen am 22.11.2024.
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