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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

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und man erfährt das Warum und das Wie.
Madame, das ist ein gar wunderlicher Marsch!
Er durchschauerte mir Mark und Bein als ich
ihn zuerst hörte, und ich war froh, daß ich ihn
vergaß -- Man vergißt so etwas, wenn man
älter wird, ein junger Mann hat jetzt so viel
anderes Wissen im Kopf zu behalten -- Whist,
Boston, genealogische Tabellen, Bundestags¬
beschlüsse, Dramaturgie, Liturgie, Vorschnei¬
den -- und wirklich, trotz allem Stirnreiben
konnte ich mich lange Zeit nicht mehr auf jene
gewaltige Melodie besinnen. Aber denken Sie
sich, Madame! unlängst sitze ich an der Tafel
mit einer ganzen Menagerie von Grafen, Prin¬
zen, Prinzessinnen, Kammerherren, Hofmarschal¬
linnen, Hofschenken, Oberhofmeisterinnen, Hof¬
silberbewahrern, Hofjägermeisterinnen, und wie
diese vornehmen Domestiquen noch außerdem
heißen mögen, und ihre Unterdomestiquen liefen
hinter ihren Stühlen und schoben ihnen die
gefüllten Teller vor's Maul -- ich aber, der

und man erfaͤhrt das Warum und das Wie.
Madame, das iſt ein gar wunderlicher Marſch!
Er durchſchauerte mir Mark und Bein als ich
ihn zuerſt hoͤrte, und ich war froh, daß ich ihn
vergaß — Man vergißt ſo etwas, wenn man
aͤlter wird, ein junger Mann hat jetzt ſo viel
anderes Wiſſen im Kopf zu behalten — Whiſt,
Boſton, genealogiſche Tabellen, Bundestags¬
beſchluͤſſe, Dramaturgie, Liturgie, Vorſchnei¬
den — und wirklich, trotz allem Stirnreiben
konnte ich mich lange Zeit nicht mehr auf jene
gewaltige Melodie beſinnen. Aber denken Sie
ſich, Madame! unlaͤngſt ſitze ich an der Tafel
mit einer ganzen Menagerie von Grafen, Prin¬
zen, Prinzeſſinnen, Kammerherren, Hofmarſchal¬
linnen, Hofſchenken, Oberhofmeiſterinnen, Hof¬
ſilberbewahrern, Hofjaͤgermeiſterinnen, und wie
dieſe vornehmen Domestiquen noch außerdem
heißen moͤgen, und ihre Unterdomeſtiquen liefen
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[196/0204] und man erfaͤhrt das Warum und das Wie. Madame, das iſt ein gar wunderlicher Marſch! Er durchſchauerte mir Mark und Bein als ich ihn zuerſt hoͤrte, und ich war froh, daß ich ihn vergaß — Man vergißt ſo etwas, wenn man aͤlter wird, ein junger Mann hat jetzt ſo viel anderes Wiſſen im Kopf zu behalten — Whiſt, Boſton, genealogiſche Tabellen, Bundestags¬ beſchluͤſſe, Dramaturgie, Liturgie, Vorſchnei¬ den — und wirklich, trotz allem Stirnreiben konnte ich mich lange Zeit nicht mehr auf jene gewaltige Melodie beſinnen. Aber denken Sie ſich, Madame! unlaͤngſt ſitze ich an der Tafel mit einer ganzen Menagerie von Grafen, Prin¬ zen, Prinzeſſinnen, Kammerherren, Hofmarſchal¬ linnen, Hofſchenken, Oberhofmeiſterinnen, Hof¬ ſilberbewahrern, Hofjaͤgermeiſterinnen, und wie dieſe vornehmen Domestiquen noch außerdem heißen moͤgen, und ihre Unterdomeſtiquen liefen hinter ihren Stuͤhlen und ſchoben ihnen die gefuͤllten Teller vor's Maul — ich aber, der

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/204>, abgerufen am 21.11.2024.