Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite
"Gleich wie Blätter im Walde, so sind die Ge¬
schlechter der Menschen;

Blätter verweht zur Erde der Wind nun,
andere treibt dann

Wieder der knospende Wald, wenn neu auflebet
der Frühling:

So der Menschen Geschlecht, dies wächst, und
jenes verschwindet."

In frühern Tagen hatte der junge Mensch
mit ganz andern Gedanken an eben dieselben
Bäume hinaufgesehen, und er war damals ein
Knabe, und suchte Vogelnester oder Sommer¬
käfer, die ihn gar sehr ergötzten wenn sie lustig
dahinsummten, und sich der hübschen Welt er¬
freuten, zufrieden mit einem saftiggrünen Blätt¬
chen, mit einem Tröpfchen Thau, mit einem
warmen Sonnenstrahl, und mit dem süßen
Kräuterduft. Damals war des Knaben Herz
eben so vergnügt wie die flatternden Thierchen.
Jetzt aber war sein Herz älter geworden, die

“Gleich wie Blaͤtter im Walde, ſo ſind die Ge¬
ſchlechter der Menſchen;

Blaͤtter verweht zur Erde der Wind nun,
andere treibt dann

Wieder der knospende Wald, wenn neu auflebet
der Fruͤhling:

So der Menſchen Geſchlecht, dies waͤchſt, und
jenes verſchwindet.”

In fruͤhern Tagen hatte der junge Menſch
mit ganz andern Gedanken an eben dieſelben
Baͤume hinaufgeſehen, und er war damals ein
Knabe, und ſuchte Vogelneſter oder Sommer¬
kaͤfer, die ihn gar ſehr ergoͤtzten wenn ſie luſtig
dahinſummten, und ſich der huͤbſchen Welt er¬
freuten, zufrieden mit einem ſaftiggruͤnen Blaͤtt¬
chen, mit einem Troͤpfchen Thau, mit einem
warmen Sonnenſtrahl, und mit dem ſuͤßen
Kraͤuterduft. Damals war des Knaben Herz
eben ſo vergnuͤgt wie die flatternden Thierchen.
Jetzt aber war ſein Herz aͤlter geworden, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0219" n="211"/>
          <lg type="poem">
            <l>&#x201C;Gleich wie Bla&#x0364;tter im Walde, &#x017F;o &#x017F;ind die Ge¬<lb/>
&#x017F;chlechter der Men&#x017F;chen;</l><lb/>
            <l>Bla&#x0364;tter verweht zur Erde der Wind nun,<lb/>
andere treibt dann</l><lb/>
            <l>Wieder der knospende Wald, wenn neu auflebet<lb/>
der Fru&#x0364;hling:</l><lb/>
            <l>So der Men&#x017F;chen Ge&#x017F;chlecht, dies wa&#x0364;ch&#x017F;t, und<lb/>
jenes ver&#x017F;chwindet.&#x201D;</l><lb/>
          </lg>
          <p>In fru&#x0364;hern Tagen hatte der junge Men&#x017F;ch<lb/>
mit ganz andern Gedanken an eben die&#x017F;elben<lb/>
Ba&#x0364;ume hinaufge&#x017F;ehen, und er war damals ein<lb/>
Knabe, und &#x017F;uchte Vogelne&#x017F;ter oder Sommer¬<lb/>
ka&#x0364;fer, die ihn gar &#x017F;ehr ergo&#x0364;tzten wenn &#x017F;ie lu&#x017F;tig<lb/>
dahin&#x017F;ummten, und &#x017F;ich der hu&#x0364;b&#x017F;chen Welt er¬<lb/>
freuten, zufrieden mit einem &#x017F;aftiggru&#x0364;nen Bla&#x0364;tt¬<lb/>
chen, mit einem Tro&#x0364;pfchen Thau, mit einem<lb/>
warmen Sonnen&#x017F;trahl, und mit dem &#x017F;u&#x0364;ßen<lb/>
Kra&#x0364;uterduft. Damals war des Knaben Herz<lb/>
eben &#x017F;o vergnu&#x0364;gt wie die flatternden Thierchen.<lb/>
Jetzt aber war &#x017F;ein Herz a&#x0364;lter geworden, die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0219] “Gleich wie Blaͤtter im Walde, ſo ſind die Ge¬ ſchlechter der Menſchen; Blaͤtter verweht zur Erde der Wind nun, andere treibt dann Wieder der knospende Wald, wenn neu auflebet der Fruͤhling: So der Menſchen Geſchlecht, dies waͤchſt, und jenes verſchwindet.” In fruͤhern Tagen hatte der junge Menſch mit ganz andern Gedanken an eben dieſelben Baͤume hinaufgeſehen, und er war damals ein Knabe, und ſuchte Vogelneſter oder Sommer¬ kaͤfer, die ihn gar ſehr ergoͤtzten wenn ſie luſtig dahinſummten, und ſich der huͤbſchen Welt er¬ freuten, zufrieden mit einem ſaftiggruͤnen Blaͤtt¬ chen, mit einem Troͤpfchen Thau, mit einem warmen Sonnenſtrahl, und mit dem ſuͤßen Kraͤuterduft. Damals war des Knaben Herz eben ſo vergnuͤgt wie die flatternden Thierchen. Jetzt aber war ſein Herz aͤlter geworden, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/219
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/219>, abgerufen am 21.11.2024.