Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

schöne Comtesse? Zypressenwuchs, Hyazinten¬
locken, der Mund ist Ros' und Nachtigall zu
gleicher Zeit, die ganze Frau ist eine Blume,
und wie eine arme Blume, die zwischen zwey
Blättern Löschpapier gepreßt wird, steht sie da
zwischen ihren grauen Tanten. Der Herr Ge¬
mahl, der solche Blumen statt Disteln verzehrt,
um uns glauben zu machen, er sey kein Esel,
mußte heute zu Hause bleiben, hat den Schnup¬
fen, liegt auf dem Sopha, ich habe ihn unter¬
halten müssen, wir schwatzten zwey Stunden
lang von der neuen Liturgie, und die Zunge ist
mir ordentlich dünner geworden durch das viele
Schwatzen und die Lippen thun mir weh vor
lauter Lächeln --" Bey diesen Worten zog
sich um die Mundwinkel des Kammermusici ein
sauerhöfliches Lächeln, das er mit dem feinen
Zünglein wieder fortleckte, und plötzlich rief er:
"die Liturgie! die Liturgie! sie wird auf den
Flügeln des rothen Adlers dritter Classe von
Kirchthurm zu Kirchthurm fliegen, jusqu'a la

ſchoͤne Comteſſe? Zypreſſenwuchs, Hyazinten¬
locken, der Mund iſt Roſ' und Nachtigall zu
gleicher Zeit, die ganze Frau iſt eine Blume,
und wie eine arme Blume, die zwiſchen zwey
Blaͤttern Loͤſchpapier gepreßt wird, ſteht ſie da
zwiſchen ihren grauen Tanten. Der Herr Ge¬
mahl, der ſolche Blumen ſtatt Diſteln verzehrt,
um uns glauben zu machen, er ſey kein Eſel,
mußte heute zu Hauſe bleiben, hat den Schnup¬
fen, liegt auf dem Sopha, ich habe ihn unter¬
halten muͤſſen, wir ſchwatzten zwey Stunden
lang von der neuen Liturgie, und die Zunge iſt
mir ordentlich duͤnner geworden durch das viele
Schwatzen und die Lippen thun mir weh vor
lauter Laͤcheln —“ Bey dieſen Worten zog
ſich um die Mundwinkel des Kammermuſici ein
ſauerhoͤfliches Laͤcheln, das er mit dem feinen
Zuͤnglein wieder fortleckte, und ploͤtzlich rief er:
„die Liturgie! die Liturgie! ſie wird auf den
Fluͤgeln des rothen Adlers dritter Claſſe von
Kirchthurm zu Kirchthurm fliegen, jusqu'à la

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0330" n="322"/>
&#x017F;cho&#x0364;ne Comte&#x017F;&#x017F;e? Zypre&#x017F;&#x017F;enwuchs, Hyazinten¬<lb/>
locken, der Mund i&#x017F;t Ro&#x017F;' und Nachtigall zu<lb/>
gleicher Zeit, die ganze Frau i&#x017F;t eine Blume,<lb/>
und wie eine arme Blume, die zwi&#x017F;chen zwey<lb/>
Bla&#x0364;ttern Lo&#x0364;&#x017F;chpapier gepreßt wird, &#x017F;teht &#x017F;ie da<lb/>
zwi&#x017F;chen ihren grauen Tanten. Der Herr Ge¬<lb/>
mahl, der &#x017F;olche Blumen &#x017F;tatt Di&#x017F;teln verzehrt,<lb/>
um uns glauben zu machen, er &#x017F;ey kein E&#x017F;el,<lb/>
mußte heute zu Hau&#x017F;e bleiben, hat den Schnup¬<lb/>
fen, liegt auf dem Sopha, ich habe ihn unter¬<lb/>
halten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, wir &#x017F;chwatzten zwey Stunden<lb/>
lang von der neuen Liturgie, und die Zunge i&#x017F;t<lb/>
mir ordentlich du&#x0364;nner geworden durch das viele<lb/>
Schwatzen und die Lippen thun mir weh vor<lb/>
lauter La&#x0364;cheln &#x2014;&#x201C; Bey die&#x017F;en Worten zog<lb/>
&#x017F;ich um die Mundwinkel des Kammermu&#x017F;ici ein<lb/>
&#x017F;auerho&#x0364;fliches La&#x0364;cheln, das er mit dem feinen<lb/>
Zu&#x0364;nglein wieder fortleckte, und plo&#x0364;tzlich rief er:<lb/>
&#x201E;die Liturgie! die Liturgie! &#x017F;ie wird auf den<lb/>
Flu&#x0364;geln des rothen Adlers dritter Cla&#x017F;&#x017F;e von<lb/>
Kirchthurm zu Kirchthurm fliegen, <hi rendition="#aq">jusqu'à la<lb/></hi></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[322/0330] ſchoͤne Comteſſe? Zypreſſenwuchs, Hyazinten¬ locken, der Mund iſt Roſ' und Nachtigall zu gleicher Zeit, die ganze Frau iſt eine Blume, und wie eine arme Blume, die zwiſchen zwey Blaͤttern Loͤſchpapier gepreßt wird, ſteht ſie da zwiſchen ihren grauen Tanten. Der Herr Ge¬ mahl, der ſolche Blumen ſtatt Diſteln verzehrt, um uns glauben zu machen, er ſey kein Eſel, mußte heute zu Hauſe bleiben, hat den Schnup¬ fen, liegt auf dem Sopha, ich habe ihn unter¬ halten muͤſſen, wir ſchwatzten zwey Stunden lang von der neuen Liturgie, und die Zunge iſt mir ordentlich duͤnner geworden durch das viele Schwatzen und die Lippen thun mir weh vor lauter Laͤcheln —“ Bey dieſen Worten zog ſich um die Mundwinkel des Kammermuſici ein ſauerhoͤfliches Laͤcheln, das er mit dem feinen Zuͤnglein wieder fortleckte, und ploͤtzlich rief er: „die Liturgie! die Liturgie! ſie wird auf den Fluͤgeln des rothen Adlers dritter Claſſe von Kirchthurm zu Kirchthurm fliegen, jusqu'à la

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/330
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/330>, abgerufen am 18.05.2024.