schaute, fühlte sich beengt und elend, und wenn er hindurch brechen wollte, erhaschte ihn leicht die schlaue Weberin, und sog ihm das kühne Blut aus dem Herzen; --Und war das Traum¬ glück der blöden Menge nicht zu theuer erkauft für solches Blut? Die Tage der Geistesknecht¬ schaft sind vorüber; alterschwach, zwischen den gebrochenen Säulen ihres Colisäums, sitzt die alte Kreuzspinne, und spinnt noch immer das alte Gewebe, aber es ist matt und morsch, und es verfangen sich darin nur Schmetterlinge und Fledermäuse, und nicht mehr die Stein¬ adler des Nordens.
-- Es ist doch wirklich belächelnswerth, während ich im Begriff bin, mich so recht wohlwollend über die Absichten der römischen Kirche zu verbreiten, erfaßt mich plötzlich der angewöhnte protestantische Eifer, der ihr immer das Schlimmste zumuthet; und eben dieser Mei¬ nungszwiespalt in mir selbst giebt mir wieder ein Bild von der Zerrissenheit der Denkweise
4
ſchaute, fuͤhlte ſich beengt und elend, und wenn er hindurch brechen wollte, erhaſchte ihn leicht die ſchlaue Weberin, und ſog ihm das kuͤhne Blut aus dem Herzen; —Und war das Traum¬ gluͤck der bloͤden Menge nicht zu theuer erkauft fuͤr ſolches Blut? Die Tage der Geiſtesknecht¬ ſchaft ſind voruͤber; alterſchwach, zwiſchen den gebrochenen Saͤulen ihres Coliſaͤums, ſitzt die alte Kreuzſpinne, und ſpinnt noch immer das alte Gewebe, aber es iſt matt und morſch, und es verfangen ſich darin nur Schmetterlinge und Fledermaͤuſe, und nicht mehr die Stein¬ adler des Nordens.
— Es iſt doch wirklich belaͤchelnswerth, waͤhrend ich im Begriff bin, mich ſo recht wohlwollend uͤber die Abſichten der roͤmiſchen Kirche zu verbreiten, erfaßt mich ploͤtzlich der angewoͤhnte proteſtantiſche Eifer, der ihr immer das Schlimmſte zumuthet; und eben dieſer Mei¬ nungszwieſpalt in mir ſelbſt giebt mir wieder ein Bild von der Zerriſſenheit der Denkweiſe
4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0057"n="49"/>ſchaute, fuͤhlte ſich beengt und elend, und wenn<lb/>
er hindurch brechen wollte, erhaſchte ihn leicht<lb/>
die ſchlaue Weberin, und ſog ihm das kuͤhne<lb/>
Blut aus dem Herzen; —Und war das Traum¬<lb/>
gluͤck der bloͤden Menge nicht zu theuer erkauft<lb/>
fuͤr ſolches Blut? Die Tage der Geiſtesknecht¬<lb/>ſchaft ſind voruͤber; alterſchwach, zwiſchen den<lb/>
gebrochenen Saͤulen ihres Coliſaͤums, ſitzt die<lb/>
alte Kreuzſpinne, und ſpinnt noch immer das<lb/>
alte Gewebe, aber es iſt matt und morſch, und<lb/>
es verfangen ſich darin nur Schmetterlinge<lb/>
und Fledermaͤuſe, und nicht mehr die Stein¬<lb/>
adler des Nordens.</p><lb/><p>— Es iſt doch wirklich belaͤchelnswerth,<lb/>
waͤhrend ich im Begriff bin, mich ſo recht<lb/>
wohlwollend uͤber die Abſichten der roͤmiſchen<lb/>
Kirche zu verbreiten, erfaßt mich ploͤtzlich der<lb/>
angewoͤhnte proteſtantiſche Eifer, der ihr immer<lb/>
das Schlimmſte zumuthet; und eben dieſer Mei¬<lb/>
nungszwieſpalt in mir ſelbſt giebt mir wieder<lb/>
ein Bild von der Zerriſſenheit der Denkweiſe<lb/><fwplace="bottom"type="sig">4<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[49/0057]
ſchaute, fuͤhlte ſich beengt und elend, und wenn
er hindurch brechen wollte, erhaſchte ihn leicht
die ſchlaue Weberin, und ſog ihm das kuͤhne
Blut aus dem Herzen; —Und war das Traum¬
gluͤck der bloͤden Menge nicht zu theuer erkauft
fuͤr ſolches Blut? Die Tage der Geiſtesknecht¬
ſchaft ſind voruͤber; alterſchwach, zwiſchen den
gebrochenen Saͤulen ihres Coliſaͤums, ſitzt die
alte Kreuzſpinne, und ſpinnt noch immer das
alte Gewebe, aber es iſt matt und morſch, und
es verfangen ſich darin nur Schmetterlinge
und Fledermaͤuſe, und nicht mehr die Stein¬
adler des Nordens.
— Es iſt doch wirklich belaͤchelnswerth,
waͤhrend ich im Begriff bin, mich ſo recht
wohlwollend uͤber die Abſichten der roͤmiſchen
Kirche zu verbreiten, erfaßt mich ploͤtzlich der
angewoͤhnte proteſtantiſche Eifer, der ihr immer
das Schlimmſte zumuthet; und eben dieſer Mei¬
nungszwieſpalt in mir ſelbſt giebt mir wieder
ein Bild von der Zerriſſenheit der Denkweiſe
4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/57>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.