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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

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Seele so weltenweit. Die hohe Einfachheit der
Natur, wie sie mich hier umgiebt, zähmt und
erhebt mich zu gleicher Zeit, und zwar in stär¬
kerem Grade als jemals eine andere erhabene
Umgebung. Nie war mir ein Dom groß ge¬
nug; meine Seele mit ihrem alten Titanenge¬
bet strebte immer höher als die gothischen Pfei¬
ler, und wollte immer hinausbrechen durch das
Dach. Auf der Spitze der Roßtrappe haben
mir, beym ersten Anblick, die kolossalen Felsen,
in ihren kühnen Gruppirungen, ziemlich impo¬
nirt; aber dieser Eindruck dauerte nicht lange,
meine Seele war nur überrascht, nicht überwäl¬
tigt, und jene ungeheure Steinmassen wurden
in meinen Augen allmählig kleiner, und am
Ende erschienen sie mir nur wie geringe Trüm¬
mer eines zerschlagenen Riesenpallastes, worin
sich meine Seele vielleicht comfortabel befunden
hätte.

Mag es immerhin lächerlich klingen, ich
kann es dennoch nicht verhehlen, das Mißver¬

Seele ſo weltenweit. Die hohe Einfachheit der
Natur, wie ſie mich hier umgiebt, zaͤhmt und
erhebt mich zu gleicher Zeit, und zwar in ſtaͤr¬
kerem Grade als jemals eine andere erhabene
Umgebung. Nie war mir ein Dom groß ge¬
nug; meine Seele mit ihrem alten Titanenge¬
bet ſtrebte immer hoͤher als die gothiſchen Pfei¬
ler, und wollte immer hinausbrechen durch das
Dach. Auf der Spitze der Roßtrappe haben
mir, beym erſten Anblick, die koloſſalen Felſen,
in ihren kuͤhnen Gruppirungen, ziemlich impo¬
nirt; aber dieſer Eindruck dauerte nicht lange,
meine Seele war nur uͤberraſcht, nicht uͤberwaͤl¬
tigt, und jene ungeheure Steinmaſſen wurden
in meinen Augen allmaͤhlig kleiner, und am
Ende erſchienen ſie mir nur wie geringe Truͤm¬
mer eines zerſchlagenen Rieſenpallaſtes, worin
ſich meine Seele vielleicht comfortabel befunden
haͤtte.

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kann es dennoch nicht verhehlen, das Mißver¬

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[75/0083] Seele ſo weltenweit. Die hohe Einfachheit der Natur, wie ſie mich hier umgiebt, zaͤhmt und erhebt mich zu gleicher Zeit, und zwar in ſtaͤr¬ kerem Grade als jemals eine andere erhabene Umgebung. Nie war mir ein Dom groß ge¬ nug; meine Seele mit ihrem alten Titanenge¬ bet ſtrebte immer hoͤher als die gothiſchen Pfei¬ ler, und wollte immer hinausbrechen durch das Dach. Auf der Spitze der Roßtrappe haben mir, beym erſten Anblick, die koloſſalen Felſen, in ihren kuͤhnen Gruppirungen, ziemlich impo¬ nirt; aber dieſer Eindruck dauerte nicht lange, meine Seele war nur uͤberraſcht, nicht uͤberwaͤl¬ tigt, und jene ungeheure Steinmaſſen wurden in meinen Augen allmaͤhlig kleiner, und am Ende erſchienen ſie mir nur wie geringe Truͤm¬ mer eines zerſchlagenen Rieſenpallaſtes, worin ſich meine Seele vielleicht comfortabel befunden haͤtte. Mag es immerhin laͤcherlich klingen, ich kann es dennoch nicht verhehlen, das Mißver¬

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/83>, abgerufen am 21.11.2024.