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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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Gebetbuch nachtragen ließ. Im Dome aber war
es wieder recht angenehm; in langen Reihen
saßen da Tulpen von allen Farben und bewegten
andächtig die Köpfe. Im Beichtstuhl saß ein
schwarzer Rettig, und vor ihm kniete eine
Blume, deren Gesicht nicht zum Vorschein kam.
Doch sie duftete so wohlbekannt schauerlich, daß
ich seltsamerweise wieder an die Nachtviole dachte,
die im Zimmer stand, wo die todte Maria lag.

Als ich wieder aus dem Dome trat, begeg¬
nete mir ein Leichenzug von lauter Rosen mit
schwarzen Flören und weißen Taschentüchern, und
ach! auf der Bahre lag die frühzerrissene Rose,
die ich am Busen der kleinen Harfenistin kennen
gelernt. Sie sah jetzt noch viel anmuthiger aus,
aber ganz kreideblaß, eine weiße Rosenleiche.
Bey einer kleinen Capelle wurde der Sarg nie¬
dergesetzt; da gab es nichts als Weinen und
Schluchzen, und endlich trat eine alte Klatschrose

Gebetbuch nachtragen ließ. Im Dome aber war
es wieder recht angenehm; in langen Reihen
ſaßen da Tulpen von allen Farben und bewegten
andaͤchtig die Koͤpfe. Im Beichtſtuhl ſaß ein
ſchwarzer Rettig, und vor ihm kniete eine
Blume, deren Geſicht nicht zum Vorſchein kam.
Doch ſie duftete ſo wohlbekannt ſchauerlich, daß
ich ſeltſamerweiſe wieder an die Nachtviole dachte,
die im Zimmer ſtand, wo die todte Maria lag.

Als ich wieder aus dem Dome trat, begeg¬
nete mir ein Leichenzug von lauter Roſen mit
ſchwarzen Floͤren und weißen Taſchentuͤchern, und
ach! auf der Bahre lag die fruͤhzerriſſene Roſe,
die ich am Buſen der kleinen Harfeniſtin kennen
gelernt. Sie ſah jetzt noch viel anmuthiger aus,
aber ganz kreideblaß, eine weiße Roſenleiche.
Bey einer kleinen Capelle wurde der Sarg nie¬
dergeſetzt; da gab es nichts als Weinen und
Schluchzen, und endlich trat eine alte Klatſchroſe

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[123/0131] Gebetbuch nachtragen ließ. Im Dome aber war es wieder recht angenehm; in langen Reihen ſaßen da Tulpen von allen Farben und bewegten andaͤchtig die Koͤpfe. Im Beichtſtuhl ſaß ein ſchwarzer Rettig, und vor ihm kniete eine Blume, deren Geſicht nicht zum Vorſchein kam. Doch ſie duftete ſo wohlbekannt ſchauerlich, daß ich ſeltſamerweiſe wieder an die Nachtviole dachte, die im Zimmer ſtand, wo die todte Maria lag. Als ich wieder aus dem Dome trat, begeg¬ nete mir ein Leichenzug von lauter Roſen mit ſchwarzen Floͤren und weißen Taſchentuͤchern, und ach! auf der Bahre lag die fruͤhzerriſſene Roſe, die ich am Buſen der kleinen Harfeniſtin kennen gelernt. Sie ſah jetzt noch viel anmuthiger aus, aber ganz kreideblaß, eine weiße Roſenleiche. Bey einer kleinen Capelle wurde der Sarg nie¬ dergeſetzt; da gab es nichts als Weinen und Schluchzen, und endlich trat eine alte Klatſchroſe

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/131>, abgerufen am 21.11.2024.