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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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ich werde nirgends auf dieser weiten Welt einen
verrückteren Menschen finden. Narren und
Dummköpfe giebt es genug, und man erzeigt
ihnen oft die Ehre, sie für verrückt zu halten;
aber die wahre Verrücktheit ist so selten wie die
wahre Weisheit, sie ist vielleicht gar nichts
anderes als Weisheit, die sich geärgert hat, daß
sie alles weiß, alle Schändlichkeiten dieser Welt,
und die deshalb den weisen Entschluß gefaßt
hat, verrückt zu werden. Die Orientalen sind
ein gescheutes Volk, sie verehren einen Ver¬
rückten wie einen Propheten, wir aber halten
jeden Propheten für verrückt.

Aber, Mylady, warum haben Sie mir nicht
geschrieben?

Gewiß, Doktor, ich schrieb Ihnen einen lan¬
gen Brief, und bemerkte auf der Adresse: abzu¬
geben in Neu-Bedlam. Da Sie aber, gegen
alle Vermuthung nicht dort waren, so schickte
man den Brief nach St. Luze, und da sie auch

ich werde nirgends auf dieſer weiten Welt einen
verruͤckteren Menſchen finden. Narren und
Dummkoͤpfe giebt es genug, und man erzeigt
ihnen oft die Ehre, ſie fuͤr verruͤckt zu halten;
aber die wahre Verruͤcktheit iſt ſo ſelten wie die
wahre Weisheit, ſie iſt vielleicht gar nichts
anderes als Weisheit, die ſich geaͤrgert hat, daß
ſie alles weiß, alle Schaͤndlichkeiten dieſer Welt,
und die deshalb den weiſen Entſchluß gefaßt
hat, verruͤckt zu werden. Die Orientalen ſind
ein geſcheutes Volk, ſie verehren einen Ver¬
ruͤckten wie einen Propheten, wir aber halten
jeden Propheten fuͤr verruͤckt.

Aber, Mylady, warum haben Sie mir nicht
geſchrieben?

Gewiß, Doktor, ich ſchrieb Ihnen einen lan¬
gen Brief, und bemerkte auf der Adreſſe: abzu¬
geben in Neu-Bedlam. Da Sie aber, gegen
alle Vermuthung nicht dort waren, ſo ſchickte
man den Brief nach St. Luze, und da ſie auch

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[220/0228] ich werde nirgends auf dieſer weiten Welt einen verruͤckteren Menſchen finden. Narren und Dummkoͤpfe giebt es genug, und man erzeigt ihnen oft die Ehre, ſie fuͤr verruͤckt zu halten; aber die wahre Verruͤcktheit iſt ſo ſelten wie die wahre Weisheit, ſie iſt vielleicht gar nichts anderes als Weisheit, die ſich geaͤrgert hat, daß ſie alles weiß, alle Schaͤndlichkeiten dieſer Welt, und die deshalb den weiſen Entſchluß gefaßt hat, verruͤckt zu werden. Die Orientalen ſind ein geſcheutes Volk, ſie verehren einen Ver¬ ruͤckten wie einen Propheten, wir aber halten jeden Propheten fuͤr verruͤckt. Aber, Mylady, warum haben Sie mir nicht geſchrieben? Gewiß, Doktor, ich ſchrieb Ihnen einen lan¬ gen Brief, und bemerkte auf der Adreſſe: abzu¬ geben in Neu-Bedlam. Da Sie aber, gegen alle Vermuthung nicht dort waren, ſo ſchickte man den Brief nach St. Luze, und da ſie auch

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/228>, abgerufen am 24.11.2024.