Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

lichen Gedichten, die der Graf, wenn er die ge¬
hörige Reife erlangt, noch dichten will, und die
seine bisherigen Meisterstücke an Bedeutung so
unerhört übertreffen sollen. Wir wissen ganz ge¬
nau, daß die späteren Werke des wahren Dichters
keineswegs bedeutender sind als die früheren,
eben so wenig wie ein Weib, je öfter sie gebährt,
desto vollkommenere Kinder zur Welt bringt; nein,
das erste Kind ist schon eben so gut wie das
zweite -- nur das Gebähren wird leichter. Die
Löwin wirft nicht erst ein Kaninchen, dann ein
Häschen, dann ein Hündchen und endlich einen
Löwen. Madame Goethe warf gleich ihren jun¬
gen Leu, und dieser gab uns, im ersten Wurf,
seinen Löwen von Berlichingen. Eben so warf
auch Schiller gleich seine Räuber, an deren Tatze
man schon die Löwenart erkannte. Später kam
erst die Politur, die Glätte, die Feile, die natür¬
liche Tochter und die Braut von Messina. Nicht
so begab es sich mit dem Grafen Platen, der

lichen Gedichten, die der Graf, wenn er die ge¬
hoͤrige Reife erlangt, noch dichten will, und die
ſeine bisherigen Meiſterſtuͤcke an Bedeutung ſo
unerhoͤrt uͤbertreffen ſollen. Wir wiſſen ganz ge¬
nau, daß die ſpaͤteren Werke des wahren Dichters
keineswegs bedeutender ſind als die fruͤheren,
eben ſo wenig wie ein Weib, je oͤfter ſie gebaͤhrt,
deſto vollkommenere Kinder zur Welt bringt; nein,
das erſte Kind iſt ſchon eben ſo gut wie das
zweite — nur das Gebaͤhren wird leichter. Die
Loͤwin wirft nicht erſt ein Kaninchen, dann ein
Haͤschen, dann ein Huͤndchen und endlich einen
Loͤwen. Madame Goethe warf gleich ihren jun¬
gen Leu, und dieſer gab uns, im erſten Wurf,
ſeinen Loͤwen von Berlichingen. Eben ſo warf
auch Schiller gleich ſeine Raͤuber, an deren Tatze
man ſchon die Loͤwenart erkannte. Spaͤter kam
erſt die Politur, die Glaͤtte, die Feile, die natuͤr¬
liche Tochter und die Braut von Meſſina. Nicht
ſo begab es ſich mit dem Grafen Platen, der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0397" n="389"/>
lichen Gedichten, die der Graf, wenn er die ge¬<lb/>
ho&#x0364;rige Reife erlangt, noch dichten will, und die<lb/>
&#x017F;eine bisherigen Mei&#x017F;ter&#x017F;tu&#x0364;cke an Bedeutung &#x017F;o<lb/>
unerho&#x0364;rt u&#x0364;bertreffen &#x017F;ollen. Wir wi&#x017F;&#x017F;en ganz ge¬<lb/>
nau, daß die &#x017F;pa&#x0364;teren Werke des wahren Dichters<lb/>
keineswegs bedeutender &#x017F;ind als die fru&#x0364;heren,<lb/>
eben &#x017F;o wenig wie ein Weib, je o&#x0364;fter &#x017F;ie geba&#x0364;hrt,<lb/>
de&#x017F;to vollkommenere Kinder zur Welt bringt; nein,<lb/>
das er&#x017F;te Kind i&#x017F;t &#x017F;chon eben &#x017F;o gut wie das<lb/>
zweite &#x2014; nur das Geba&#x0364;hren wird leichter. Die<lb/>
Lo&#x0364;win wirft nicht er&#x017F;t ein Kaninchen, dann ein<lb/>
Ha&#x0364;schen, dann ein Hu&#x0364;ndchen und endlich einen<lb/>
Lo&#x0364;wen. Madame Goethe warf gleich ihren jun¬<lb/>
gen Leu, und die&#x017F;er gab uns, im er&#x017F;ten Wurf,<lb/>
&#x017F;einen Lo&#x0364;wen von Berlichingen. Eben &#x017F;o warf<lb/>
auch Schiller gleich &#x017F;eine Ra&#x0364;uber, an deren Tatze<lb/>
man &#x017F;chon die Lo&#x0364;wenart erkannte. Spa&#x0364;ter kam<lb/>
er&#x017F;t die Politur, die Gla&#x0364;tte, die Feile, die natu&#x0364;<lb/>
liche Tochter und die Braut von Me&#x017F;&#x017F;ina. Nicht<lb/>
&#x017F;o begab es &#x017F;ich mit dem Grafen Platen, der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[389/0397] lichen Gedichten, die der Graf, wenn er die ge¬ hoͤrige Reife erlangt, noch dichten will, und die ſeine bisherigen Meiſterſtuͤcke an Bedeutung ſo unerhoͤrt uͤbertreffen ſollen. Wir wiſſen ganz ge¬ nau, daß die ſpaͤteren Werke des wahren Dichters keineswegs bedeutender ſind als die fruͤheren, eben ſo wenig wie ein Weib, je oͤfter ſie gebaͤhrt, deſto vollkommenere Kinder zur Welt bringt; nein, das erſte Kind iſt ſchon eben ſo gut wie das zweite — nur das Gebaͤhren wird leichter. Die Loͤwin wirft nicht erſt ein Kaninchen, dann ein Haͤschen, dann ein Huͤndchen und endlich einen Loͤwen. Madame Goethe warf gleich ihren jun¬ gen Leu, und dieſer gab uns, im erſten Wurf, ſeinen Loͤwen von Berlichingen. Eben ſo warf auch Schiller gleich ſeine Raͤuber, an deren Tatze man ſchon die Loͤwenart erkannte. Spaͤter kam erſt die Politur, die Glaͤtte, die Feile, die natuͤr¬ liche Tochter und die Braut von Meſſina. Nicht ſo begab es ſich mit dem Grafen Platen, der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/397
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/397>, abgerufen am 22.11.2024.