lichen Gedichten, die der Graf, wenn er die ge¬ hörige Reife erlangt, noch dichten will, und die seine bisherigen Meisterstücke an Bedeutung so unerhört übertreffen sollen. Wir wissen ganz ge¬ nau, daß die späteren Werke des wahren Dichters keineswegs bedeutender sind als die früheren, eben so wenig wie ein Weib, je öfter sie gebährt, desto vollkommenere Kinder zur Welt bringt; nein, das erste Kind ist schon eben so gut wie das zweite -- nur das Gebähren wird leichter. Die Löwin wirft nicht erst ein Kaninchen, dann ein Häschen, dann ein Hündchen und endlich einen Löwen. Madame Goethe warf gleich ihren jun¬ gen Leu, und dieser gab uns, im ersten Wurf, seinen Löwen von Berlichingen. Eben so warf auch Schiller gleich seine Räuber, an deren Tatze man schon die Löwenart erkannte. Später kam erst die Politur, die Glätte, die Feile, die natür¬ liche Tochter und die Braut von Messina. Nicht so begab es sich mit dem Grafen Platen, der
lichen Gedichten, die der Graf, wenn er die ge¬ hoͤrige Reife erlangt, noch dichten will, und die ſeine bisherigen Meiſterſtuͤcke an Bedeutung ſo unerhoͤrt uͤbertreffen ſollen. Wir wiſſen ganz ge¬ nau, daß die ſpaͤteren Werke des wahren Dichters keineswegs bedeutender ſind als die fruͤheren, eben ſo wenig wie ein Weib, je oͤfter ſie gebaͤhrt, deſto vollkommenere Kinder zur Welt bringt; nein, das erſte Kind iſt ſchon eben ſo gut wie das zweite — nur das Gebaͤhren wird leichter. Die Loͤwin wirft nicht erſt ein Kaninchen, dann ein Haͤschen, dann ein Huͤndchen und endlich einen Loͤwen. Madame Goethe warf gleich ihren jun¬ gen Leu, und dieſer gab uns, im erſten Wurf, ſeinen Loͤwen von Berlichingen. Eben ſo warf auch Schiller gleich ſeine Raͤuber, an deren Tatze man ſchon die Loͤwenart erkannte. Spaͤter kam erſt die Politur, die Glaͤtte, die Feile, die natuͤr¬ liche Tochter und die Braut von Meſſina. Nicht ſo begab es ſich mit dem Grafen Platen, der
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lichen Gedichten, die der Graf, wenn er die ge¬
hoͤrige Reife erlangt, noch dichten will, und die
ſeine bisherigen Meiſterſtuͤcke an Bedeutung ſo
unerhoͤrt uͤbertreffen ſollen. Wir wiſſen ganz ge¬
nau, daß die ſpaͤteren Werke des wahren Dichters
keineswegs bedeutender ſind als die fruͤheren,
eben ſo wenig wie ein Weib, je oͤfter ſie gebaͤhrt,
deſto vollkommenere Kinder zur Welt bringt; nein,
das erſte Kind iſt ſchon eben ſo gut wie das
zweite — nur das Gebaͤhren wird leichter. Die
Loͤwin wirft nicht erſt ein Kaninchen, dann ein
Haͤschen, dann ein Huͤndchen und endlich einen
Loͤwen. Madame Goethe warf gleich ihren jun¬
gen Leu, und dieſer gab uns, im erſten Wurf,
ſeinen Loͤwen von Berlichingen. Eben ſo warf
auch Schiller gleich ſeine Raͤuber, an deren Tatze
man ſchon die Loͤwenart erkannte. Spaͤter kam
erſt die Politur, die Glaͤtte, die Feile, die natuͤr¬
liche Tochter und die Braut von Meſſina. Nicht
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/397>, abgerufen am 22.11.2024.
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