freudigem Radschlagen schon lange im voraus begrüßt hatten. Es sollte nichts Minderes als ein verderblicher Basilisk seyn. Kennst du, lieber Leser, die Sage von dem Basilisk? Das Volk erzählt: wenn ein männlicher Vogel, wie ein Weib, ein Ey gelegt, so entstände daraus ein giftiges Geschöpf, dessen Hauch die Luft verpeste, und das man nur dadurch tödten könne, daß man ihm einen Spiegel vorhalte, indem es alsdann über den Anblick seiner eigenen Scheußlichkeit vor Schrecken sterbe.
Heilige Schmerzen, die ich nicht entweihen wollte, erlaubten es mir erst zwey Monat später, als ich auf der Insel Helgoland badete, den König Oedipus zu lesen, und dort, großgestimmt von dem beständigen Anblick des großen, kühnen Meers, mußte mir die kleinliche Gesinnung und die Altflickerey des hochgeborenen Verfassers recht anschaulich werden. Jenes Meisterwerk zeigte mir ihn endlich ganz wie er ist, mit all seiner
freudigem Radſchlagen ſchon lange im voraus begruͤßt hatten. Es ſollte nichts Minderes als ein verderblicher Baſilisk ſeyn. Kennſt du, lieber Leſer, die Sage von dem Baſilisk? Das Volk erzaͤhlt: wenn ein maͤnnlicher Vogel, wie ein Weib, ein Ey gelegt, ſo entſtaͤnde daraus ein giftiges Geſchoͤpf, deſſen Hauch die Luft verpeſte, und das man nur dadurch toͤdten koͤnne, daß man ihm einen Spiegel vorhalte, indem es alsdann uͤber den Anblick ſeiner eigenen Scheußlichkeit vor Schrecken ſterbe.
Heilige Schmerzen, die ich nicht entweihen wollte, erlaubten es mir erſt zwey Monat ſpaͤter, als ich auf der Inſel Helgoland badete, den Koͤnig Oedipus zu leſen, und dort, großgeſtimmt von dem beſtaͤndigen Anblick des großen, kuͤhnen Meers, mußte mir die kleinliche Geſinnung und die Altflickerey des hochgeborenen Verfaſſers recht anſchaulich werden. Jenes Meiſterwerk zeigte mir ihn endlich ganz wie er iſt, mit all ſeiner
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freudigem Radſchlagen ſchon lange im voraus
begruͤßt hatten. Es ſollte nichts Minderes als
ein verderblicher Baſilisk ſeyn. Kennſt du, lieber
Leſer, die Sage von dem Baſilisk? Das Volk
erzaͤhlt: wenn ein maͤnnlicher Vogel, wie ein
Weib, ein Ey gelegt, ſo entſtaͤnde daraus ein
giftiges Geſchoͤpf, deſſen Hauch die Luft verpeſte,
und das man nur dadurch toͤdten koͤnne, daß man
ihm einen Spiegel vorhalte, indem es alsdann
uͤber den Anblick ſeiner eigenen Scheußlichkeit
vor Schrecken ſterbe.
Heilige Schmerzen, die ich nicht entweihen
wollte, erlaubten es mir erſt zwey Monat ſpaͤter,
als ich auf der Inſel Helgoland badete, den
Koͤnig Oedipus zu leſen, und dort, großgeſtimmt
von dem beſtaͤndigen Anblick des großen, kuͤhnen
Meers, mußte mir die kleinliche Geſinnung und
die Altflickerey des hochgeborenen Verfaſſers recht
anſchaulich werden. Jenes Meiſterwerk zeigte
mir ihn endlich ganz wie er iſt, mit all ſeiner
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/406>, abgerufen am 24.11.2024.
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