Es geht den Dichtern wie den Träumern, die im Schlafe dasjenige innere Gefühl, welches ihre Seele durch wirkliche äußere Ursachen emp¬ findet, gleichsam maskiren, indem sie an die Stelle dieser letzteren ganz andere äußere Ur¬ sachen erträumen, die aber in so fern ganz adäquat sind, als sie dasselbe Gefühl hervorbringen. So sind auch in Immermanns "Trauerspiel" manche Außendinge ziemlich willkührlich geschaffen, aber der Held selbst, der Gefühlsmittelpunkt, ist identisch geträumt, und wenn diese Traumgestalt selbst träumerisch erscheint, so ist auch dieses der Wahrheit gemäß. Der Baron Hormayr, der hierin der kompetenteste Richter seyn kann, hat mich, als ich jüngst das Vergnügen hatte ihn zu sprechen, auf diesen Umstand aufmerksam ge¬ macht. Das mystische Gemüthsleben, die aber¬ gläubische Religiosität, das Epische des Mannes, hat Immermann ganz richtig angedeutet. Er gab ganz treu jene treue Taube, die, mit dem
Es geht den Dichtern wie den Traͤumern, die im Schlafe dasjenige innere Gefuͤhl, welches ihre Seele durch wirkliche aͤußere Urſachen emp¬ findet, gleichſam maskiren, indem ſie an die Stelle dieſer letzteren ganz andere aͤußere Ur¬ ſachen ertraͤumen, die aber in ſo fern ganz adaͤquat ſind, als ſie daſſelbe Gefuͤhl hervorbringen. So ſind auch in Immermanns „Trauerſpiel“ manche Außendinge ziemlich willkuͤhrlich geſchaffen, aber der Held ſelbſt, der Gefuͤhlsmittelpunkt, iſt identiſch getraͤumt, und wenn dieſe Traumgeſtalt ſelbſt traͤumeriſch erſcheint, ſo iſt auch dieſes der Wahrheit gemaͤß. Der Baron Hormayr, der hierin der kompetenteſte Richter ſeyn kann, hat mich, als ich juͤngſt das Vergnuͤgen hatte ihn zu ſprechen, auf dieſen Umſtand aufmerkſam ge¬ macht. Das myſtiſche Gemuͤthsleben, die aber¬ glaͤubiſche Religioſitaͤt, das Epiſche des Mannes, hat Immermann ganz richtig angedeutet. Er gab ganz treu jene treue Taube, die, mit dem
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Es geht den Dichtern wie den Traͤumern,
die im Schlafe dasjenige innere Gefuͤhl, welches
ihre Seele durch wirkliche aͤußere Urſachen emp¬
findet, gleichſam maskiren, indem ſie an die
Stelle dieſer letzteren ganz andere aͤußere Ur¬
ſachen ertraͤumen, die aber in ſo fern ganz
adaͤquat ſind, als ſie daſſelbe Gefuͤhl hervorbringen.
So ſind auch in Immermanns „Trauerſpiel“
manche Außendinge ziemlich willkuͤhrlich geſchaffen,
aber der Held ſelbſt, der Gefuͤhlsmittelpunkt, iſt
identiſch getraͤumt, und wenn dieſe Traumgeſtalt
ſelbſt traͤumeriſch erſcheint, ſo iſt auch dieſes der
Wahrheit gemaͤß. Der Baron Hormayr, der
hierin der kompetenteſte Richter ſeyn kann, hat
mich, als ich juͤngſt das Vergnuͤgen hatte ihn
zu ſprechen, auf dieſen Umſtand aufmerkſam ge¬
macht. Das myſtiſche Gemuͤthsleben, die aber¬
glaͤubiſche Religioſitaͤt, das Epiſche des Mannes,
hat Immermann ganz richtig angedeutet. Er
gab ganz treu jene treue Taube, die, mit dem
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/58>, abgerufen am 24.11.2024.
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