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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

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Ochsen, noch seiner Magd, noch seiner Kuh, noch
seines Esels. Ich arbeite nicht am Sabath, dem
siebenten Tage, wo Gott geruht; ja, aus Vor¬
sicht, da man nicht mehr genau weiß, welcher die¬
ser siebente Ruhetag war, thue ich oft die ganze
Woche nichts. Was aber gar die Gebothe Christi
betrifft, so übte ich immer das wichtigste, nämlich
daß man sogar seine Feinde lieben soll -- denn
ach! diejenigen Menschen, die ich am meisten ge¬
liebt habe, waren immer, ohne daß ich es wußte,
meine schlimmsten Feinde.

Um Gottes Willen, Mathilde, weinen Sie
nicht! rief ich als wieder ein Ton der schmerzhaf¬
testen Bitterkeit aus der heitersten Neckerey, wie
eine Schlange aus einem Blumenbeete, hervor¬
schoß. Ich kannte ja diesen Ton, wobey das wi¬
tzige Cristallherz der wunderbaren Frau zwar im¬
mer gewaltig, aber nicht lange erzitterte, und ich
wußte, daß er eben so leicht, wie er entsteht, auch
wieder verscheucht wird, durch die erste beste la¬

Ochſen, noch ſeiner Magd, noch ſeiner Kuh, noch
ſeines Eſels. Ich arbeite nicht am Sabath, dem
ſiebenten Tage, wo Gott geruht; ja, aus Vor¬
ſicht, da man nicht mehr genau weiß, welcher die¬
ſer ſiebente Ruhetag war, thue ich oft die ganze
Woche nichts. Was aber gar die Gebothe Chriſti
betrifft, ſo uͤbte ich immer das wichtigſte, naͤmlich
daß man ſogar ſeine Feinde lieben ſoll — denn
ach! diejenigen Menſchen, die ich am meiſten ge¬
liebt habe, waren immer, ohne daß ich es wußte,
meine ſchlimmſten Feinde.

Um Gottes Willen, Mathilde, weinen Sie
nicht! rief ich als wieder ein Ton der ſchmerzhaf¬
teſten Bitterkeit aus der heiterſten Neckerey, wie
eine Schlange aus einem Blumenbeete, hervor¬
ſchoß. Ich kannte ja dieſen Ton, wobey das wi¬
tzige Criſtallherz der wunderbaren Frau zwar im¬
mer gewaltig, aber nicht lange erzitterte, und ich
wußte, daß er eben ſo leicht, wie er entſteht, auch
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[91/0105] Ochſen, noch ſeiner Magd, noch ſeiner Kuh, noch ſeines Eſels. Ich arbeite nicht am Sabath, dem ſiebenten Tage, wo Gott geruht; ja, aus Vor¬ ſicht, da man nicht mehr genau weiß, welcher die¬ ſer ſiebente Ruhetag war, thue ich oft die ganze Woche nichts. Was aber gar die Gebothe Chriſti betrifft, ſo uͤbte ich immer das wichtigſte, naͤmlich daß man ſogar ſeine Feinde lieben ſoll — denn ach! diejenigen Menſchen, die ich am meiſten ge¬ liebt habe, waren immer, ohne daß ich es wußte, meine ſchlimmſten Feinde. Um Gottes Willen, Mathilde, weinen Sie nicht! rief ich als wieder ein Ton der ſchmerzhaf¬ teſten Bitterkeit aus der heiterſten Neckerey, wie eine Schlange aus einem Blumenbeete, hervor¬ ſchoß. Ich kannte ja dieſen Ton, wobey das wi¬ tzige Criſtallherz der wunderbaren Frau zwar im¬ mer gewaltig, aber nicht lange erzitterte, und ich wußte, daß er eben ſo leicht, wie er entſteht, auch wieder verſcheucht wird, durch die erſte beſte la¬

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/105>, abgerufen am 21.11.2024.