Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

aber ist unser armes Vaterland zerrissen durch
Glaubenszwiespalt, das Volk ist getrennt in feind¬
liche Religionspartheyen, protestantische Untertha¬
nen hadern mit ihren katholischen Fürsten oder
umgekehrt, überall Mißtrauen ob Kryptokatholizis¬
mus oder Kryptoprotestantismus, überall Verketze¬
rung, Gesinnungsspionage, Pietismus, Mystizis¬
mus, Kirchenzeitungsschnüffeleyen, Sektenhaß, Be¬
kehrungssucht, und während wir über den Himmel
streiten, gehen wir auf Erden zu Grunde. Ein
Indifferentismus in religiösen Dingen wäre viel¬
leicht allein im Stande uns zu retten, und durch
Schwächerwerden im Glauben könnte Deutschland
politisch erstarken.

Für die Religion selber, für ihr heiliges We¬
sen, ist es eben so verderblich, wenn sie mit Pri¬
vilegien bekleidet ist, wenn ihre Diener vom Staate
vorzugsweise dotirt werden, und zur Erhaltung die¬
ser Dotazionen ihrerseits verpflichtet sind, den Staat
zu vertreten, und solchermaßen eine Hand die an¬

aber iſt unſer armes Vaterland zerriſſen durch
Glaubenszwieſpalt, das Volk iſt getrennt in feind¬
liche Religionspartheyen, proteſtantiſche Untertha¬
nen hadern mit ihren katholiſchen Fuͤrſten oder
umgekehrt, uͤberall Mißtrauen ob Kryptokatholizis¬
mus oder Kryptoproteſtantismus, uͤberall Verketze¬
rung, Geſinnungsſpionage, Pietismus, Myſtizis¬
mus, Kirchenzeitungsſchnuͤffeleyen, Sektenhaß, Be¬
kehrungsſucht, und waͤhrend wir uͤber den Himmel
ſtreiten, gehen wir auf Erden zu Grunde. Ein
Indifferentismus in religioͤſen Dingen waͤre viel¬
leicht allein im Stande uns zu retten, und durch
Schwaͤcherwerden im Glauben koͤnnte Deutſchland
politiſch erſtarken.

Fuͤr die Religion ſelber, fuͤr ihr heiliges We¬
ſen, iſt es eben ſo verderblich, wenn ſie mit Pri¬
vilegien bekleidet iſt, wenn ihre Diener vom Staate
vorzugsweiſe dotirt werden, und zur Erhaltung die¬
ſer Dotazionen ihrerſeits verpflichtet ſind, den Staat
zu vertreten, und ſolchermaßen eine Hand die an¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0121" n="107"/>
aber i&#x017F;t un&#x017F;er armes Vaterland zerri&#x017F;&#x017F;en durch<lb/>
Glaubenszwie&#x017F;palt, das Volk i&#x017F;t getrennt in feind¬<lb/>
liche Religionspartheyen, prote&#x017F;tanti&#x017F;che Untertha¬<lb/>
nen hadern mit ihren katholi&#x017F;chen Fu&#x0364;r&#x017F;ten oder<lb/>
umgekehrt, u&#x0364;berall Mißtrauen ob Kryptokatholizis¬<lb/>
mus oder Kryptoprote&#x017F;tantismus, u&#x0364;berall Verketze¬<lb/>
rung, Ge&#x017F;innungs&#x017F;pionage, Pietismus, My&#x017F;tizis¬<lb/>
mus, Kirchenzeitungs&#x017F;chnu&#x0364;ffeleyen, Sektenhaß, Be¬<lb/>
kehrungs&#x017F;ucht, und wa&#x0364;hrend wir u&#x0364;ber den Himmel<lb/>
&#x017F;treiten, gehen wir auf Erden zu Grunde. Ein<lb/>
Indifferentismus in religio&#x0364;&#x017F;en Dingen wa&#x0364;re viel¬<lb/>
leicht allein im Stande uns zu retten, und durch<lb/>
Schwa&#x0364;cherwerden im Glauben ko&#x0364;nnte Deut&#x017F;chland<lb/>
politi&#x017F;ch er&#x017F;tarken.</p><lb/>
          <p>Fu&#x0364;r die Religion &#x017F;elber, fu&#x0364;r ihr heiliges We¬<lb/>
&#x017F;en, i&#x017F;t es eben &#x017F;o verderblich, wenn &#x017F;ie mit Pri¬<lb/>
vilegien bekleidet i&#x017F;t, wenn ihre Diener vom Staate<lb/>
vorzugswei&#x017F;e dotirt werden, und zur Erhaltung die¬<lb/>
&#x017F;er Dotazionen ihrer&#x017F;eits verpflichtet &#x017F;ind, den Staat<lb/>
zu vertreten, und &#x017F;olchermaßen eine Hand die an¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0121] aber iſt unſer armes Vaterland zerriſſen durch Glaubenszwieſpalt, das Volk iſt getrennt in feind¬ liche Religionspartheyen, proteſtantiſche Untertha¬ nen hadern mit ihren katholiſchen Fuͤrſten oder umgekehrt, uͤberall Mißtrauen ob Kryptokatholizis¬ mus oder Kryptoproteſtantismus, uͤberall Verketze¬ rung, Geſinnungsſpionage, Pietismus, Myſtizis¬ mus, Kirchenzeitungsſchnuͤffeleyen, Sektenhaß, Be¬ kehrungsſucht, und waͤhrend wir uͤber den Himmel ſtreiten, gehen wir auf Erden zu Grunde. Ein Indifferentismus in religioͤſen Dingen waͤre viel¬ leicht allein im Stande uns zu retten, und durch Schwaͤcherwerden im Glauben koͤnnte Deutſchland politiſch erſtarken. Fuͤr die Religion ſelber, fuͤr ihr heiliges We¬ ſen, iſt es eben ſo verderblich, wenn ſie mit Pri¬ vilegien bekleidet iſt, wenn ihre Diener vom Staate vorzugsweiſe dotirt werden, und zur Erhaltung die¬ ſer Dotazionen ihrerſeits verpflichtet ſind, den Staat zu vertreten, und ſolchermaßen eine Hand die an¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/121
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/121>, abgerufen am 21.11.2024.