Aber anders wie andere Völker. Der Engländer liebt die Freyheit wie sein rechtmäßiges Weib, er besitzt sie, und wenn er sie auch nicht mit abson¬ derlicher Zärtlichkeit behandelt, so weiß er sie doch im Nothfall wie ein Mann zu vertheidigen, und wehe dem rothgeröckten Burschen, der sich in ihr heiliges Schlafgemach drängt -- sey es als Gallant oder als Scherge. Der Franzose liebt die Freyheit wie seine erwählte Braut. Er glüht für sie, er flammt, er wirft sich zu ihren Füßen mit den über¬ spanntesten Betheuerungen, er schlägt sich für sie auf Tod und Leben, er begeht für sie tausenderley Thorheiten. Der Deutsche liebt die Freyheit wie seine alte Großmutter."
Gar wunderlich sind doch die Menschen! Im Vaterlande brummen wir, jede Dummheit, jede Verkehrtheit dort verdrießt uns, wie Knaben möch¬ ten wir täglich davon laufen in die weite Welt; sind wir endlich wirklich in die weite Welt gekom¬ men, so ist uns diese wieder zu weit, und heimlich
Aber anders wie andere Voͤlker. Der Englaͤnder liebt die Freyheit wie ſein rechtmaͤßiges Weib, er beſitzt ſie, und wenn er ſie auch nicht mit abſon¬ derlicher Zaͤrtlichkeit behandelt, ſo weiß er ſie doch im Nothfall wie ein Mann zu vertheidigen, und wehe dem rothgeroͤckten Burſchen, der ſich in ihr heiliges Schlafgemach draͤngt — ſey es als Gallant oder als Scherge. Der Franzoſe liebt die Freyheit wie ſeine erwaͤhlte Braut. Er gluͤht fuͤr ſie, er flammt, er wirft ſich zu ihren Fuͤßen mit den uͤber¬ ſpannteſten Betheuerungen, er ſchlaͤgt ſich fuͤr ſie auf Tod und Leben, er begeht fuͤr ſie tauſenderley Thorheiten. Der Deutſche liebt die Freyheit wie ſeine alte Großmutter.“
Gar wunderlich ſind doch die Menſchen! Im Vaterlande brummen wir, jede Dummheit, jede Verkehrtheit dort verdrießt uns, wie Knaben moͤch¬ ten wir taͤglich davon laufen in die weite Welt; ſind wir endlich wirklich in die weite Welt gekom¬ men, ſo iſt uns dieſe wieder zu weit, und heimlich
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Aber anders wie andere Voͤlker. Der Englaͤnder
liebt die Freyheit wie ſein rechtmaͤßiges Weib, er
beſitzt ſie, und wenn er ſie auch nicht mit abſon¬
derlicher Zaͤrtlichkeit behandelt, ſo weiß er ſie doch
im Nothfall wie ein Mann zu vertheidigen, und
wehe dem rothgeroͤckten Burſchen, der ſich in ihr
heiliges Schlafgemach draͤngt — ſey es als Gallant
oder als Scherge. Der Franzoſe liebt die Freyheit
wie ſeine erwaͤhlte Braut. Er gluͤht fuͤr ſie, er
flammt, er wirft ſich zu ihren Fuͤßen mit den uͤber¬
ſpannteſten Betheuerungen, er ſchlaͤgt ſich fuͤr ſie
auf Tod und Leben, er begeht fuͤr ſie tauſenderley
Thorheiten. Der Deutſche liebt die Freyheit wie
ſeine alte Großmutter.“
Gar wunderlich ſind doch die Menſchen! Im
Vaterlande brummen wir, jede Dummheit, jede
Verkehrtheit dort verdrießt uns, wie Knaben moͤch¬
ten wir taͤglich davon laufen in die weite Welt;
ſind wir endlich wirklich in die weite Welt gekom¬
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/164>, abgerufen am 24.11.2024.
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