überall schief durchguckte. Julio Romano hät- te damals schon älter und erfahrner mehr Ge- schmack gezeigt, als er eine meisterhafte gothische dazu erfand. Es sey etwas anders, einen Riß auf dem Papier anschauen, und ein Gebäude aufgemaurt in der Luft; dieß haben die Raths- herrn, die des Palladio seinen wählten, wie viele Große die bauen lassen, nicht gewußt.
Unser Gespräch lenkte sich endlich auf die Architektur überhaupt; und er sagte, so viel ich mich erinnere:
Von Schönheit in der Baukunst hab ich wenig Begriff, weil sie mir ganz außer der leben- digen Natur zu seyn scheint; höchstens entspringt ihr Reiz bloß aus der Metaphysik davon, wenn ich das Wort hier brauchen darf, und nicht aus Wirklichkeit: deßwegen ihre Verschiedenheit bey allen Völkern, die sich einander nicht nach- ahmen. Eine strenge Theorie davon verliert sich in das Dunkel der Schöpfung. Schönheit ist
was
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uͤberall ſchief durchguckte. Julio Romano haͤt- te damals ſchon aͤlter und erfahrner mehr Ge- ſchmack gezeigt, als er eine meiſterhafte gothiſche dazu erfand. Es ſey etwas anders, einen Riß auf dem Papier anſchauen, und ein Gebaͤude aufgemaurt in der Luft; dieß haben die Raths- herrn, die des Palladio ſeinen waͤhlten, wie viele Große die bauen laſſen, nicht gewußt.
Unſer Geſpraͤch lenkte ſich endlich auf die Architektur uͤberhaupt; und er ſagte, ſo viel ich mich erinnere:
Von Schoͤnheit in der Baukunſt hab ich wenig Begriff, weil ſie mir ganz außer der leben- digen Natur zu ſeyn ſcheint; hoͤchſtens entſpringt ihr Reiz bloß aus der Metaphyſik davon, wenn ich das Wort hier brauchen darf, und nicht aus Wirklichkeit: deßwegen ihre Verſchiedenheit bey allen Voͤlkern, die ſich einander nicht nach- ahmen. Eine ſtrenge Theorie davon verliert ſich in das Dunkel der Schoͤpfung. Schoͤnheit iſt
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uͤberall ſchief durchguckte. Julio Romano haͤt-
te damals ſchon aͤlter und erfahrner mehr Ge-
ſchmack gezeigt, als er eine meiſterhafte gothiſche
dazu erfand. Es ſey etwas anders, einen Riß
auf dem Papier anſchauen, und ein Gebaͤude
aufgemaurt in der Luft; dieß haben die Raths-
herrn, die des Palladio ſeinen waͤhlten, wie
viele Große die bauen laſſen, nicht gewußt.
Unſer Geſpraͤch lenkte ſich endlich auf die
Architektur uͤberhaupt; und er ſagte, ſo viel ich mich
erinnere:
Von Schoͤnheit in der Baukunſt hab ich
wenig Begriff, weil ſie mir ganz außer der leben-
digen Natur zu ſeyn ſcheint; hoͤchſtens entſpringt
ihr Reiz bloß aus der Metaphyſik davon, wenn
ich das Wort hier brauchen darf, und nicht
aus Wirklichkeit: deßwegen ihre Verſchiedenheit
bey allen Voͤlkern, die ſich einander nicht nach-
ahmen. Eine ſtrenge Theorie davon verliert ſich
in das Dunkel der Schoͤpfung. Schoͤnheit iſt
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 1. Lemgo, 1787, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello01_1787/57>, abgerufen am 24.11.2024.
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