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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787.

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Zweck behangen. Die Lage der Unterkleider,
den Wurf der Mäntel und Togen können wir an
den Bildsäulen der Alten noch weit weniger
nachahmen, als die Form der Glieder; denn
uns fehlt dabey ganz die Natur. Wir suchen
uns zwar wie Amphibia mit eigen erfundner
mahlerischer Tracht zu helfen: aber sie bleibt fast
immer eine bloße Ziererey, ohne Reiz und Wir-
kung für den, welcher Natur und Wahrheit
verlangt, und ist aller Täuschung zuwider.

Und obendrein noch sind die Künstler weit
übler dran, wenn sie den Gang der Alten ein-
schlagen wollen, als die Philosophen, Redner,
Dichter; diese haben immer das unermeßliche
Reich der Natur und Sprache unter den Men-
schen vor sich, und Gesetz und Gewohnheit
hemmt sie weit minder. Wenn einer auch an
Vollkommenheit den Phidias, oder Polyklet,
Praxiteles, Lysipp, Zeuxis und Apelles errei-
chen könnte: was hat er vom nackten Menschen

in

Zweck behangen. Die Lage der Unterkleider,
den Wurf der Maͤntel und Togen koͤnnen wir an
den Bildſaͤulen der Alten noch weit weniger
nachahmen, als die Form der Glieder; denn
uns fehlt dabey ganz die Natur. Wir ſuchen
uns zwar wie Amphibia mit eigen erfundner
mahleriſcher Tracht zu helfen: aber ſie bleibt faſt
immer eine bloße Ziererey, ohne Reiz und Wir-
kung fuͤr den, welcher Natur und Wahrheit
verlangt, und iſt aller Taͤuſchung zuwider.

Und obendrein noch ſind die Kuͤnſtler weit
uͤbler dran, wenn ſie den Gang der Alten ein-
ſchlagen wollen, als die Philoſophen, Redner,
Dichter; dieſe haben immer das unermeßliche
Reich der Natur und Sprache unter den Men-
ſchen vor ſich, und Geſetz und Gewohnheit
hemmt ſie weit minder. Wenn einer auch an
Vollkommenheit den Phidias, oder Polyklet,
Praxiteles, Lyſipp, Zeuxis und Apelles errei-
chen koͤnnte: was hat er vom nackten Menſchen

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[107/0115] Zweck behangen. Die Lage der Unterkleider, den Wurf der Maͤntel und Togen koͤnnen wir an den Bildſaͤulen der Alten noch weit weniger nachahmen, als die Form der Glieder; denn uns fehlt dabey ganz die Natur. Wir ſuchen uns zwar wie Amphibia mit eigen erfundner mahleriſcher Tracht zu helfen: aber ſie bleibt faſt immer eine bloße Ziererey, ohne Reiz und Wir- kung fuͤr den, welcher Natur und Wahrheit verlangt, und iſt aller Taͤuſchung zuwider. Und obendrein noch ſind die Kuͤnſtler weit uͤbler dran, wenn ſie den Gang der Alten ein- ſchlagen wollen, als die Philoſophen, Redner, Dichter; dieſe haben immer das unermeßliche Reich der Natur und Sprache unter den Men- ſchen vor ſich, und Geſetz und Gewohnheit hemmt ſie weit minder. Wenn einer auch an Vollkommenheit den Phidias, oder Polyklet, Praxiteles, Lyſipp, Zeuxis und Apelles errei- chen koͤnnte: was hat er vom nackten Menſchen in

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Zitationshilfe: [Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/115>, abgerufen am 24.11.2024.