"Eines jeden Gefühl muß ihm sagen, daß er etwas getrenntes von einem Ganzen ist, und daß er sucht, sich wieder mit demselben zu verei- nigen. Als Menschen suchen wir dieß am ersten bey andern Menschen zu bewerkstelligen: die Natur leitet den Mann zum Weibe, und das Weib zum Manne. Beyde finden alsdenn doch noch nicht dieß in sich allein, und suchen ihr Ganzes bey mehrern ihres Gleichen. Wo dieser Trieb lauter wirkt: die glückseeligste Republik. Aber auch hier wird der Mensch endlich seine freye Vollkommenheit, sein Ganzes nicht finden. Es ist also klar, daß uns entweder der Tod mit diesem vereinigt, oder doch nähert; oder nach mancher- ley Durchwanderungen von Körpern wieder da- hin bringen muß. Aus diesem Gefühl stirbt ei- ne Alkeste für ihren Gatten, als der minder edle Theil des Ganzen; und übergibt sich ein Regu- lus freywillig Schmach und Leiden. Aus diesem Grunde sieht man mehrere Menschen, jeden
schier
„Eines jeden Gefuͤhl muß ihm ſagen, daß er etwas getrenntes von einem Ganzen iſt, und daß er ſucht, ſich wieder mit demſelben zu verei- nigen. Als Menſchen ſuchen wir dieß am erſten bey andern Menſchen zu bewerkſtelligen: die Natur leitet den Mann zum Weibe, und das Weib zum Manne. Beyde finden alsdenn doch noch nicht dieß in ſich allein, und ſuchen ihr Ganzes bey mehrern ihres Gleichen. Wo dieſer Trieb lauter wirkt: die gluͤckſeeligſte Republik. Aber auch hier wird der Menſch endlich ſeine freye Vollkommenheit, ſein Ganzes nicht finden. Es iſt alſo klar, daß uns entweder der Tod mit dieſem vereinigt, oder doch naͤhert; oder nach mancher- ley Durchwanderungen von Koͤrpern wieder da- hin bringen muß. Aus dieſem Gefuͤhl ſtirbt ei- ne Alkeſte fuͤr ihren Gatten, als der minder edle Theil des Ganzen; und uͤbergibt ſich ein Regu- lus freywillig Schmach und Leiden. Aus dieſem Grunde ſieht man mehrere Menſchen, jeden
ſchier
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„Eines jeden Gefuͤhl muß ihm ſagen, daß
er etwas getrenntes von einem Ganzen iſt, und
daß er ſucht, ſich wieder mit demſelben zu verei-
nigen. Als Menſchen ſuchen wir dieß am erſten
bey andern Menſchen zu bewerkſtelligen: die
Natur leitet den Mann zum Weibe, und das
Weib zum Manne. Beyde finden alsdenn doch
noch nicht dieß in ſich allein, und ſuchen ihr
Ganzes bey mehrern ihres Gleichen. Wo dieſer
Trieb lauter wirkt: die gluͤckſeeligſte Republik.
Aber auch hier wird der Menſch endlich ſeine freye
Vollkommenheit, ſein Ganzes nicht finden. Es iſt
alſo klar, daß uns entweder der Tod mit dieſem
vereinigt, oder doch naͤhert; oder nach mancher-
ley Durchwanderungen von Koͤrpern wieder da-
hin bringen muß. Aus dieſem Gefuͤhl ſtirbt ei-
ne Alkeſte fuͤr ihren Gatten, als der minder edle
Theil des Ganzen; und uͤbergibt ſich ein Regu-
lus freywillig Schmach und Leiden. Aus dieſem
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/150>, abgerufen am 17.05.2024.
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