Begriffe hatte, uns auch damit schleppen? Der Mensch kann nichts göttlichers als Verstand er- gründen, muß man wohl der Schule des Ana- xagoras zugeben; auch bleibt er in ihm mit Sin- nen samt Vernunft die höchste Regel der Wahr- heit, und gegen ihre vereinigten Aussprüche gilt weder Verjährung, Wunder, noch Zeugniß.
Je mehr man das Weltall und seine Ver- bindung damit kennt: desto vortreflicher die Religion.
Und wer den reizbarsten, innigsten Sinn für die Schönheiten der Natur hat, ihre ge- heimsten Regungen fühlt, deren Mängel nicht vertragen kann, und denselben abhilft nach seinen Kräften: der übt aller Religionen Wahrstes und Heiligstes aus. Sein Tempel ist das unendliche Gewölbe des Himmels; sein Fest jede schöne Sommernacht, ein herrlicher Aufgang; und er bringt seine Opfer dar an Menschen, an Thiere, die ihrer bedürfen, an alles Lebendige.
Me-
Begriffe hatte, uns auch damit ſchleppen? Der Menſch kann nichts goͤttlichers als Verſtand er- gruͤnden, muß man wohl der Schule des Ana- xagoras zugeben; auch bleibt er in ihm mit Sin- nen ſamt Vernunft die hoͤchſte Regel der Wahr- heit, und gegen ihre vereinigten Ausſpruͤche gilt weder Verjaͤhrung, Wunder, noch Zeugniß.
Je mehr man das Weltall und ſeine Ver- bindung damit kennt: deſto vortreflicher die Religion.
Und wer den reizbarſten, innigſten Sinn fuͤr die Schoͤnheiten der Natur hat, ihre ge- heimſten Regungen fuͤhlt, deren Maͤngel nicht vertragen kann, und denſelben abhilft nach ſeinen Kraͤften: der uͤbt aller Religionen Wahrſtes und Heiligſtes aus. Sein Tempel iſt das unendliche Gewoͤlbe des Himmels; ſein Feſt jede ſchoͤne Sommernacht, ein herrlicher Aufgang; und er bringt ſeine Opfer dar an Menſchen, an Thiere, die ihrer beduͤrfen, an alles Lebendige.
Me-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0252"n="244"/>
Begriffe hatte, uns auch damit ſchleppen? Der<lb/>
Menſch kann nichts goͤttlichers als Verſtand er-<lb/>
gruͤnden, muß man wohl der Schule des Ana-<lb/>
xagoras zugeben; auch bleibt er in ihm mit Sin-<lb/>
nen ſamt Vernunft die hoͤchſte Regel der Wahr-<lb/>
heit, und gegen ihre vereinigten Ausſpruͤche gilt<lb/>
weder Verjaͤhrung, Wunder, noch Zeugniß.</p><lb/><p>Je mehr man das Weltall und ſeine Ver-<lb/>
bindung damit kennt: deſto vortreflicher die<lb/>
Religion.</p><lb/><p>Und wer den reizbarſten, innigſten Sinn<lb/>
fuͤr die Schoͤnheiten der Natur hat, ihre ge-<lb/>
heimſten Regungen fuͤhlt, deren Maͤngel nicht<lb/>
vertragen kann, und denſelben abhilft nach ſeinen<lb/>
Kraͤften: der uͤbt aller Religionen Wahrſtes und<lb/>
Heiligſtes aus. Sein Tempel iſt das unendliche<lb/>
Gewoͤlbe des Himmels; ſein Feſt jede ſchoͤne<lb/>
Sommernacht, ein herrlicher Aufgang; und<lb/>
er bringt ſeine Opfer dar an Menſchen, an<lb/>
Thiere, die ihrer beduͤrfen, an alles Lebendige.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Me-</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[244/0252]
Begriffe hatte, uns auch damit ſchleppen? Der
Menſch kann nichts goͤttlichers als Verſtand er-
gruͤnden, muß man wohl der Schule des Ana-
xagoras zugeben; auch bleibt er in ihm mit Sin-
nen ſamt Vernunft die hoͤchſte Regel der Wahr-
heit, und gegen ihre vereinigten Ausſpruͤche gilt
weder Verjaͤhrung, Wunder, noch Zeugniß.
Je mehr man das Weltall und ſeine Ver-
bindung damit kennt: deſto vortreflicher die
Religion.
Und wer den reizbarſten, innigſten Sinn
fuͤr die Schoͤnheiten der Natur hat, ihre ge-
heimſten Regungen fuͤhlt, deren Maͤngel nicht
vertragen kann, und denſelben abhilft nach ſeinen
Kraͤften: der uͤbt aller Religionen Wahrſtes und
Heiligſtes aus. Sein Tempel iſt das unendliche
Gewoͤlbe des Himmels; ſein Feſt jede ſchoͤne
Sommernacht, ein herrlicher Aufgang; und
er bringt ſeine Opfer dar an Menſchen, an
Thiere, die ihrer beduͤrfen, an alles Lebendige.
Me-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/252>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.