preis, und wartet mit gierigem Verlangen furchtsamlich auf den Kommenden. Man siehts ihr deutlich an, daß das Jungfräuliche schon einige Zeit gewichen ist, und sie scheint nur Be- sorgniß vor mehrern zugleich zu haben wegen der Eifersucht.
Tizian wollte keine Venus mahlen, sondern nur eine Buhlerin; was konnt er dafür, daß man diese hernach Göttin der Liebe taufte? Sein Fleisch hat allen Farbenzauber, ist mit wahrem jugendlichen Blut durchflossen; was er darstellen wollte, hat er besser als irgend ein an- drer geleistet.
Unter den Antiken aber, die ich mitgebracht habe, ist ein himmlischer Bube, ein junger Apollo, welcher stark mit der Göttin wetteifern wird. Er lehnt sich mit der linken an einen Stamm mit über den Kopf geschlagner rechten; die ganze Stellung ist voll Reiz, besonders der schlanke Zug der rechten Seite. Das Gesicht
blüht
preis, und wartet mit gierigem Verlangen furchtſamlich auf den Kommenden. Man ſiehts ihr deutlich an, daß das Jungfraͤuliche ſchon einige Zeit gewichen iſt, und ſie ſcheint nur Be- ſorgniß vor mehrern zugleich zu haben wegen der Eiferſucht.
Tizian wollte keine Venus mahlen, ſondern nur eine Buhlerin; was konnt er dafuͤr, daß man dieſe hernach Goͤttin der Liebe taufte? Sein Fleiſch hat allen Farbenzauber, iſt mit wahrem jugendlichen Blut durchfloſſen; was er darſtellen wollte, hat er beſſer als irgend ein an- drer geleiſtet.
Unter den Antiken aber, die ich mitgebracht habe, iſt ein himmliſcher Bube, ein junger Apollo, welcher ſtark mit der Goͤttin wetteifern wird. Er lehnt ſich mit der linken an einen Stamm mit uͤber den Kopf geſchlagner rechten; die ganze Stellung iſt voll Reiz, beſonders der ſchlanke Zug der rechten Seite. Das Geſicht
bluͤht
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preis, und wartet mit gierigem Verlangen
furchtſamlich auf den Kommenden. Man ſiehts
ihr deutlich an, daß das Jungfraͤuliche ſchon
einige Zeit gewichen iſt, und ſie ſcheint nur Be-
ſorgniß vor mehrern zugleich zu haben wegen der
Eiferſucht.
Tizian wollte keine Venus mahlen, ſondern
nur eine Buhlerin; was konnt er dafuͤr, daß
man dieſe hernach Goͤttin der Liebe taufte?
Sein Fleiſch hat allen Farbenzauber, iſt mit
wahrem jugendlichen Blut durchfloſſen; was er
darſtellen wollte, hat er beſſer als irgend ein an-
drer geleiſtet.
Unter den Antiken aber, die ich mitgebracht
habe, iſt ein himmliſcher Bube, ein junger
Apollo, welcher ſtark mit der Goͤttin wetteifern
wird. Er lehnt ſich mit der linken an einen
Stamm mit uͤber den Kopf geſchlagner rechten;
die ganze Stellung iſt voll Reiz, beſonders der
ſchlanke Zug der rechten Seite. Das Geſicht
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[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/290>, abgerufen am 22.11.2024.
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