menschliche Geschlecht: ein Vater, der bey Ret- tung seiner Kinder umkömmt; oder als Strafe der Götter. Und als Kunstwerk konnt ihr kein anders den Rang der ersten Klasse streitig ma- chen. Für uns bleibt sie Naturtrauerspiel, und die Kreatur seufzt dabey im Innern über die nothwendigen Leiden auch des Guten und Ge- rechten, und schaudert in ihr Unvermögen, ihre Unwissenheit zurück.
Wenn man die Vorstellungen, wo der Kör- per leidet und das Leben vergeht, unter eine be- sondre Klasse bringen wollte: so möchte das Lob, welches Plinius dieser Gruppe ertheilt, wohl am wenigsten können bestritten werden, und sie unter allen dieser Art mit der Niobe oben anste- hen. Der an seiner Wunde Sterbende des Ktesilas, woran man sehen konnte, wie viel noch Seele übrig war, gehörte als einzelne Fi- gur dahin; so wie der Hinkende, vielleicht Phi- loklet, des Leontinischen Pythagoras, dessen
Ge-
menſchliche Geſchlecht: ein Vater, der bey Ret- tung ſeiner Kinder umkoͤmmt; oder als Strafe der Goͤtter. Und als Kunſtwerk konnt ihr kein anders den Rang der erſten Klaſſe ſtreitig ma- chen. Fuͤr uns bleibt ſie Naturtrauerſpiel, und die Kreatur ſeufzt dabey im Innern uͤber die nothwendigen Leiden auch des Guten und Ge- rechten, und ſchaudert in ihr Unvermoͤgen, ihre Unwiſſenheit zuruͤck.
Wenn man die Vorſtellungen, wo der Koͤr- per leidet und das Leben vergeht, unter eine be- ſondre Klaſſe bringen wollte: ſo moͤchte das Lob, welches Plinius dieſer Gruppe ertheilt, wohl am wenigſten koͤnnen beſtritten werden, und ſie unter allen dieſer Art mit der Niobe oben anſte- hen. Der an ſeiner Wunde Sterbende des Kteſilas, woran man ſehen konnte, wie viel noch Seele uͤbrig war, gehoͤrte als einzelne Fi- gur dahin; ſo wie der Hinkende, vielleicht Phi- loklet, des Leontiniſchen Pythagoras, deſſen
Ge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0094"n="86"/>
menſchliche Geſchlecht: ein Vater, der bey Ret-<lb/>
tung ſeiner Kinder umkoͤmmt; oder als Strafe<lb/>
der Goͤtter. Und als Kunſtwerk konnt ihr kein<lb/>
anders den Rang der erſten Klaſſe ſtreitig ma-<lb/>
chen. Fuͤr uns bleibt ſie Naturtrauerſpiel, und<lb/>
die Kreatur ſeufzt dabey im Innern uͤber die<lb/>
nothwendigen Leiden auch des Guten und Ge-<lb/>
rechten, und ſchaudert in ihr Unvermoͤgen, ihre<lb/>
Unwiſſenheit zuruͤck.</p><lb/><p>Wenn man die Vorſtellungen, wo der Koͤr-<lb/>
per leidet und das Leben vergeht, unter eine be-<lb/>ſondre Klaſſe bringen wollte: ſo moͤchte das Lob,<lb/>
welches Plinius dieſer Gruppe ertheilt, wohl<lb/>
am wenigſten koͤnnen beſtritten werden, und ſie<lb/>
unter allen dieſer Art mit der Niobe oben anſte-<lb/>
hen. <hirendition="#fr">Der an ſeiner Wunde Sterbende des<lb/>
Kteſilas,</hi> woran man ſehen konnte, wie viel<lb/>
noch Seele uͤbrig war, gehoͤrte als einzelne Fi-<lb/>
gur dahin; ſo wie der <hirendition="#fr">Hinkende,</hi> vielleicht Phi-<lb/>
loklet, des <hirendition="#fr">Leontiniſchen Pythagoras,</hi> deſſen<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Ge-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[86/0094]
menſchliche Geſchlecht: ein Vater, der bey Ret-
tung ſeiner Kinder umkoͤmmt; oder als Strafe
der Goͤtter. Und als Kunſtwerk konnt ihr kein
anders den Rang der erſten Klaſſe ſtreitig ma-
chen. Fuͤr uns bleibt ſie Naturtrauerſpiel, und
die Kreatur ſeufzt dabey im Innern uͤber die
nothwendigen Leiden auch des Guten und Ge-
rechten, und ſchaudert in ihr Unvermoͤgen, ihre
Unwiſſenheit zuruͤck.
Wenn man die Vorſtellungen, wo der Koͤr-
per leidet und das Leben vergeht, unter eine be-
ſondre Klaſſe bringen wollte: ſo moͤchte das Lob,
welches Plinius dieſer Gruppe ertheilt, wohl
am wenigſten koͤnnen beſtritten werden, und ſie
unter allen dieſer Art mit der Niobe oben anſte-
hen. Der an ſeiner Wunde Sterbende des
Kteſilas, woran man ſehen konnte, wie viel
noch Seele uͤbrig war, gehoͤrte als einzelne Fi-
gur dahin; ſo wie der Hinkende, vielleicht Phi-
loklet, des Leontiniſchen Pythagoras, deſſen
Ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Heinse, Wilhelm]: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Bd. 2. Lemgo, 1787, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heinse_ardinghello02_1787/94>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.