Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Erinnerung an die Göttingische Katastrophe im Jahr 1837. Königsberg, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

So wenig nun ein Arzt, der das Leiden
des Kranken auf den höchsten Grad steigert,
um die Heilkraft der Natur herauszufordern, --
dem Kranken willkommen seyn wird; und so
wenig eine Staatslehre von ähnlicher Art sich
auf die Länge praktisch brauchbar zeigen kann:
so ist doch im Gebiete des blossen Denkens
manchmal rathsam, einen Irrthum im ganzen
Umfange seiner Consequenz zu betrachten, um
desselben sich desto sicherer zu entschlagen.

Es kann daher nützlich seyn, sich das
ganze Unheil der vollendeten Anarchie vorzu-
stellen, welches, nach Verkündigung eines Fich-
teschen Interdicts sogleich entstehend, allem
durch die Staatsgewalt gebändigten Frevel
auf einmal Thür und Thor öffnen, -- und in den
Augen der Menge zunächst Diejenigen verant-
wortlich machen würde, welche den Geschäf-
ten sich entziehend die gewohnte Hülflei-
stung versagt hätten. Die Beamten wären
dann der nächste Gegenstand, entweder der
Verachtung oder der Volkswuth; Militär-Ge-
walt wäre das nächste nothwendige Surrogat
der öffentlichen Ordnung; die Wiedergeburt
dieser Ordnung müsste vom Despotismus er-
wartet werden.

Wo aber sollen wir die Ephoren suchen?
Welche Personen können, mit so gefährlichen

So wenig nun ein Arzt, der das Leiden
des Kranken auf den höchsten Grad steigert,
um die Heilkraft der Natur herauszufordern, —
dem Kranken willkommen seyn wird; und so
wenig eine Staatslehre von ähnlicher Art sich
auf die Länge praktisch brauchbar zeigen kann:
so ist doch im Gebiete des blossen Denkens
manchmal rathsam, einen Irrthum im ganzen
Umfange seiner Consequenz zu betrachten, um
desselben sich desto sicherer zu entschlagen.

Es kann daher nützlich seyn, sich das
ganze Unheil der vollendeten Anarchie vorzu-
stellen, welches, nach Verkündigung eines Fich-
teschen Interdicts sogleich entstehend, allem
durch die Staatsgewalt gebändigten Frevel
auf einmal Thür und Thor öffnen, — und in den
Augen der Menge zunächst Diejenigen verant-
wortlich machen würde, welche den Geschäf-
ten sich entziehend die gewohnte Hülflei-
stung versagt hätten. Die Beamten wären
dann der nächste Gegenstand, entweder der
Verachtung oder der Volkswuth; Militär-Ge-
walt wäre das nächste nothwendige Surrogat
der öffentlichen Ordnung; die Wiedergeburt
dieser Ordnung müsste vom Despotismus er-
wartet werden.

Wo aber sollen wir die Ephoren suchen?
Welche Personen können, mit so gefährlichen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0017" n="13"/>
        <p>So wenig nun ein Arzt, der das Leiden<lb/>
des Kranken auf den höchsten Grad steigert,<lb/>
um die Heilkraft der Natur herauszufordern, &#x2014;<lb/>
dem Kranken willkommen seyn wird; und so<lb/>
wenig eine Staatslehre von ähnlicher Art sich<lb/>
auf die Länge praktisch brauchbar zeigen kann:<lb/>
so ist doch im Gebiete des blossen Denkens<lb/>
manchmal rathsam, einen Irrthum im ganzen<lb/>
Umfange seiner Consequenz zu betrachten, um<lb/>
desselben sich desto sicherer zu entschlagen.</p><lb/>
        <p>Es kann daher nützlich seyn, sich das<lb/>
ganze Unheil der vollendeten Anarchie vorzu-<lb/>
stellen, welches, nach Verkündigung eines Fich-<lb/>
teschen Interdicts sogleich entstehend, allem<lb/>
durch die Staatsgewalt gebändigten Frevel<lb/>
auf einmal Thür und Thor öffnen, &#x2014; und in den<lb/>
Augen der Menge zunächst Diejenigen verant-<lb/>
wortlich machen würde, welche den Geschäf-<lb/>
ten sich entziehend die gewohnte Hülflei-<lb/>
stung versagt hätten. Die Beamten wären<lb/>
dann der nächste Gegenstand, entweder der<lb/>
Verachtung oder der Volkswuth; Militär-Ge-<lb/>
walt wäre das nächste nothwendige Surrogat<lb/>
der öffentlichen Ordnung; die Wiedergeburt<lb/>
dieser Ordnung müsste vom Despotismus er-<lb/>
wartet werden.</p><lb/>
        <p>Wo aber sollen wir die Ephoren suchen?<lb/>
Welche Personen können, mit so gefährlichen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0017] So wenig nun ein Arzt, der das Leiden des Kranken auf den höchsten Grad steigert, um die Heilkraft der Natur herauszufordern, — dem Kranken willkommen seyn wird; und so wenig eine Staatslehre von ähnlicher Art sich auf die Länge praktisch brauchbar zeigen kann: so ist doch im Gebiete des blossen Denkens manchmal rathsam, einen Irrthum im ganzen Umfange seiner Consequenz zu betrachten, um desselben sich desto sicherer zu entschlagen. Es kann daher nützlich seyn, sich das ganze Unheil der vollendeten Anarchie vorzu- stellen, welches, nach Verkündigung eines Fich- teschen Interdicts sogleich entstehend, allem durch die Staatsgewalt gebändigten Frevel auf einmal Thür und Thor öffnen, — und in den Augen der Menge zunächst Diejenigen verant- wortlich machen würde, welche den Geschäf- ten sich entziehend die gewohnte Hülflei- stung versagt hätten. Die Beamten wären dann der nächste Gegenstand, entweder der Verachtung oder der Volkswuth; Militär-Ge- walt wäre das nächste nothwendige Surrogat der öffentlichen Ordnung; die Wiedergeburt dieser Ordnung müsste vom Despotismus er- wartet werden. Wo aber sollen wir die Ephoren suchen? Welche Personen können, mit so gefährlichen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_goettingen_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_goettingen_1842/17
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Erinnerung an die Göttingische Katastrophe im Jahr 1837. Königsberg, 1842, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_goettingen_1842/17>, abgerufen am 03.12.2024.