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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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niss des innerlichen Wissens zu irgend einem beliebigen
inneren Verlauf von objectiven Erscheinungen, als Cha-
rakter der Ichheit auf.

Sechstens: die eben erwähnte Abstraction reicht noch
nicht hin. Das Ich fände sonst Sich als eine Reihe wan-
delbarer Erscheinungen, wenn schon ohne nähere Be-
stimmung, was für eine Reihe dies seyn möge. Das Sub-
ject kann aber sich selbst nichts gleich setzen, was nicht
eben so einfach ist, als es selbst. Folglich muss nicht bloss
die Mannigfaltigkeit individueller Bestimmungen, sondern
auch der allgemeine Begriff dieser Mannigfaltigkeit, aus
der Ichheit ausgeschieden werden. Und so bleibt denn
für das reine Ich nichts übrig, als die blosse Identität des
Objects und Subjects.

Da sind wir denn wieder angelangt bey dem oben
erwähnten grammatischen Begriff der ersten Person; nur
noch mit der negativen Bestimmung, dass diese erste
Person als Sich selbst nichts von allen dem denken
könne, was ihr auf individuelle Weise anzuhängen
scheint.

Man bemerke wohl, dass wir von der Einheit des
Subjects, des innerlichen Wissens, ausgegangen sind,
um die Mannigfaltigkeit des objectiven auszustossen. Wir
haben dabey angenommen, dass in dem activen Wissen
um sich selbst Niemand eine Vielheit finde, dass er viel-
mehr sich als Einen Wissenden betrachte, wenn schon
eine Mannigfaltigkeit dessen, was er von sich wisse, ihm
vorschwebe. -- Selbst unsere Träume eignen wir uns
selbst zu, so sehr wir über das Object lachen, was wir
selbst darstellen würden, wenn wir wachend dieselben
wären, als die wir uns im Traume gebehrden. Wie wir
nun von dieser erträumten Individualität abstrahiren, um
wachend den Begriff von uns selbst zu bilden; -- wie
jeder, nachdem er sich übereilt hat, vollends der Reuige,
der Büssende, indem er Vergebung der Sünden bittet,
sehr gern von den individuellen Zügen seiner Persön-
lichkeit abstrahiren mag, die ihn als einen Thoren, oder

niſs des innerlichen Wissens zu irgend einem beliebigen
inneren Verlauf von objectiven Erscheinungen, als Cha-
rakter der Ichheit auf.

Sechstens: die eben erwähnte Abstraction reicht noch
nicht hin. Das Ich fände sonst Sich als eine Reihe wan-
delbarer Erscheinungen, wenn schon ohne nähere Be-
stimmung, was für eine Reihe dies seyn möge. Das Sub-
ject kann aber sich selbst nichts gleich setzen, was nicht
eben so einfach ist, als es selbst. Folglich muſs nicht bloſs
die Mannigfaltigkeit individueller Bestimmungen, sondern
auch der allgemeine Begriff dieser Mannigfaltigkeit, aus
der Ichheit ausgeschieden werden. Und so bleibt denn
für das reine Ich nichts übrig, als die bloſse Identität des
Objects und Subjects.

Da sind wir denn wieder angelangt bey dem oben
erwähnten grammatischen Begriff der ersten Person; nur
noch mit der negativen Bestimmung, daſs diese erste
Person als Sich selbst nichts von allen dem denken
könne, was ihr auf individuelle Weise anzuhängen
scheint.

Man bemerke wohl, daſs wir von der Einheit des
Subjects, des innerlichen Wissens, ausgegangen sind,
um die Mannigfaltigkeit des objectiven auszustoſsen. Wir
haben dabey angenommen, daſs in dem activen Wissen
um sich selbst Niemand eine Vielheit finde, daſs er viel-
mehr sich als Einen Wissenden betrachte, wenn schon
eine Mannigfaltigkeit dessen, was er von sich wisse, ihm
vorschwebe. — Selbst unsere Träume eignen wir uns
selbst zu, so sehr wir über das Object lachen, was wir
selbst darstellen würden, wenn wir wachend dieselben
wären, als die wir uns im Traume gebehrden. Wie wir
nun von dieser erträumten Individualität abstrahiren, um
wachend den Begriff von uns selbst zu bilden; — wie
jeder, nachdem er sich übereilt hat, vollends der Reuige,
der Büſsende, indem er Vergebung der Sünden bittet,
sehr gern von den individuellen Zügen seiner Persön-
lichkeit abstrahiren mag, die ihn als einen Thoren, oder

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[90/0110] niſs des innerlichen Wissens zu irgend einem beliebigen inneren Verlauf von objectiven Erscheinungen, als Cha- rakter der Ichheit auf. Sechstens: die eben erwähnte Abstraction reicht noch nicht hin. Das Ich fände sonst Sich als eine Reihe wan- delbarer Erscheinungen, wenn schon ohne nähere Be- stimmung, was für eine Reihe dies seyn möge. Das Sub- ject kann aber sich selbst nichts gleich setzen, was nicht eben so einfach ist, als es selbst. Folglich muſs nicht bloſs die Mannigfaltigkeit individueller Bestimmungen, sondern auch der allgemeine Begriff dieser Mannigfaltigkeit, aus der Ichheit ausgeschieden werden. Und so bleibt denn für das reine Ich nichts übrig, als die bloſse Identität des Objects und Subjects. Da sind wir denn wieder angelangt bey dem oben erwähnten grammatischen Begriff der ersten Person; nur noch mit der negativen Bestimmung, daſs diese erste Person als Sich selbst nichts von allen dem denken könne, was ihr auf individuelle Weise anzuhängen scheint. Man bemerke wohl, daſs wir von der Einheit des Subjects, des innerlichen Wissens, ausgegangen sind, um die Mannigfaltigkeit des objectiven auszustoſsen. Wir haben dabey angenommen, daſs in dem activen Wissen um sich selbst Niemand eine Vielheit finde, daſs er viel- mehr sich als Einen Wissenden betrachte, wenn schon eine Mannigfaltigkeit dessen, was er von sich wisse, ihm vorschwebe. — Selbst unsere Träume eignen wir uns selbst zu, so sehr wir über das Object lachen, was wir selbst darstellen würden, wenn wir wachend dieselben wären, als die wir uns im Traume gebehrden. Wie wir nun von dieser erträumten Individualität abstrahiren, um wachend den Begriff von uns selbst zu bilden; — wie jeder, nachdem er sich übereilt hat, vollends der Reuige, der Büſsende, indem er Vergebung der Sünden bittet, sehr gern von den individuellen Zügen seiner Persön- lichkeit abstrahiren mag, die ihn als einen Thoren, oder

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/110>, abgerufen am 21.11.2024.