Verlegenheit setzen musste. Ich will aus Baumgartens Metaphysik ein paar Paragraphen hierher setzen.
§. 40. Complexus essentialium in possibili est essentia, (esse rei, ratio formalis, natura, quidditas, forma, for- male totius, ousia, tinotis, substantia, conceptus entis primus.) Hier zeigen schon die vielen Synonymen, wie viel Mühe man sich gegeben hat, den complexus, die Einigung des Vielen, aufzufassen.
§. 196. Id in substantia, cui inhaerere possunt acci- dentia, sive substantia, quatenus est subiectum; id, cui acci- dentia inhaerere possunt, substantiale vocatur; nec acci- dentia existunt extra substantiale.
Welche monströse Erfindung! So möchte man hier ausrufen. -- Wie? Braucht denn die Substanz noch ein substantiale, damit Accidenzen in ihr wohnen können? Heisst sie nicht gerade in dieser Beziehung Substanz, in wiefern sie Accidenzen trägt? Muss und kann und darf denn zwischen sie selbst, und ihre Accidenzen -- die ja eben die ihrigen sind, -- noch ein Mittelglied, das substantiale, eingeschoben werden? Was ist denn damit gewonnen? Wollen wir nicht noch einen neuen Kitt er- finden, vermöge dessen das substantiale mit der Substanz zusammen hänge? Und abermals einen andern Kitt, um die Accidenzen in das substantiale hinein zu leimen? Wird denn dieser Kitt nicht nochmals an die Glieder, die er verknüpfen soll, angeheftet werden müssen? Wird man nicht auf diese Weise die Mittelglieder ins Unend- liche vervielfältigen müssen?
Oder was ist das für ein quatenus, in dem Ausdrucke: substantia, quatenus est subiectum? Soll die Substanz sich selbst entgegengesetzt werden? Will man sie auffassen, einmal in so fern, als sie ein Subject für Prädicate ist, ein andermal in so fern, in wie ferne sie nicht Subject für ihre Prädicate ist? Darf sie denn jemals anders gedacht werden, als eben in so fern, in wie ferne sie ihre essentia- lia, ihre attributa, in sich vereinigt?
Hier habe ich die Sprache einer Verwunderung an-
Verlegenheit setzen muſste. Ich will aus Baumgartens Metaphysik ein paar Paragraphen hierher setzen.
§. 40. Complexus essentialium in possibili est essentia, (esse rei, ratio formalis, natura, quidditas, forma, for- male totius, ουσια, τινοτις, substantia, conceptus entis primus.) Hier zeigen schon die vielen Synonymen, wie viel Mühe man sich gegeben hat, den complexus, die Einigung des Vielen, aufzufassen.
§. 196. Id in substantia, cui inhaerere possunt acci- dentia, sive substantia, quatenus est subiectum; id, cui acci- dentia inhaerere possunt, substantiale vocatur; nec acci- dentia existunt extra substantiale.
Welche monströse Erfindung! So möchte man hier ausrufen. — Wie? Braucht denn die Substanz noch ein substantiale, damit Accidenzen in ihr wohnen können? Heiſst sie nicht gerade in dieser Beziehung Substanz, in wiefern sie Accidenzen trägt? Muſs und kann und darf denn zwischen sie selbst, und ihre Accidenzen — die ja eben die ihrigen sind, — noch ein Mittelglied, das substantiale, eingeschoben werden? Was ist denn damit gewonnen? Wollen wir nicht noch einen neuen Kitt er- finden, vermöge dessen das substantiale mit der Substanz zusammen hänge? Und abermals einen andern Kitt, um die Accidenzen in das substantiale hinein zu leimen? Wird denn dieser Kitt nicht nochmals an die Glieder, die er verknüpfen soll, angeheftet werden müssen? Wird man nicht auf diese Weise die Mittelglieder ins Unend- liche vervielfältigen müssen?
Oder was ist das für ein quatenus, in dem Ausdrucke: substantia, quatenus est subiectum? Soll die Substanz sich selbst entgegengesetzt werden? Will man sie auffassen, einmal in so fern, als sie ein Subject für Prädicate ist, ein andermal in so fern, in wie ferne sie nicht Subject für ihre Prädicate ist? Darf sie denn jemals anders gedacht werden, als eben in so fern, in wie ferne sie ihre essentia- lia, ihre attributa, in sich vereinigt?
Hier habe ich die Sprache einer Verwunderung an-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0145"n="125"/>
Verlegenheit setzen muſste. Ich will aus <hirendition="#g">Baumgartens</hi><lb/>
Metaphysik ein paar Paragraphen hierher setzen.</p><lb/><p>§. 40. <hirendition="#i">Complexus essentialium in possibili est essentia,<lb/>
(esse rei, ratio formalis, natura, <hirendition="#g">quidditas</hi>, forma, for-<lb/>
male totius, ουσια, τινοτις, substantia, conceptus entis primus.)</hi><lb/>
Hier zeigen schon die vielen Synonymen, wie viel Mühe<lb/>
man sich gegeben hat, den <hirendition="#i">complexus</hi>, die Einigung des<lb/>
Vielen, aufzufassen.</p><lb/><p>§. 196. <hirendition="#i">Id in substantia, cui inhaerere possunt acci-<lb/>
dentia, sive substantia, quatenus est subiectum; id, cui acci-<lb/>
dentia inhaerere possunt, <hirendition="#g">substantiale</hi> vocatur; nec acci-<lb/>
dentia existunt extra substantiale</hi>.</p><lb/><p>Welche monströse Erfindung! So möchte man hier<lb/>
ausrufen. — Wie? Braucht denn die Substanz noch<lb/>
ein <hirendition="#i">substantiale</hi>, damit Accidenzen in ihr wohnen können?<lb/>
Heiſst sie nicht gerade in dieser Beziehung Substanz, in<lb/>
wiefern sie Accidenzen trägt? Muſs und kann und darf<lb/>
denn zwischen sie selbst, und ihre Accidenzen — die ja<lb/>
eben die <hirendition="#g">ihrigen</hi> sind, — noch ein Mittelglied, das<lb/><hirendition="#i">substantiale</hi>, eingeschoben werden? Was ist denn damit<lb/>
gewonnen? Wollen wir nicht noch einen neuen Kitt er-<lb/>
finden, vermöge dessen das <hirendition="#i">substantiale</hi> mit der Substanz<lb/>
zusammen hänge? Und abermals einen andern Kitt, um<lb/>
die Accidenzen in das <hirendition="#i">substantiale</hi> hinein zu leimen?<lb/>
Wird denn dieser Kitt nicht nochmals an die Glieder,<lb/>
die er verknüpfen soll, angeheftet werden müssen? Wird<lb/>
man nicht auf diese Weise die Mittelglieder ins Unend-<lb/>
liche vervielfältigen müssen?</p><lb/><p>Oder was ist das für ein <hirendition="#i">quatenus</hi>, in dem Ausdrucke:<lb/><hirendition="#i">substantia, quatenus est subiectum?</hi> Soll die Substanz sich<lb/>
selbst entgegengesetzt werden? Will man sie auffassen,<lb/>
einmal in so fern, als sie ein Subject für Prädicate ist,<lb/>
ein andermal in so fern, in wie ferne sie <hirendition="#g">nicht</hi> Subject für<lb/>
ihre Prädicate ist? Darf sie denn jemals anders gedacht<lb/>
werden, als eben in so fern, in wie ferne sie ihre <hirendition="#i">essentia-<lb/>
lia</hi>, ihre <hirendition="#i">attributa</hi>, in sich vereinigt?</p><lb/><p>Hier habe ich die Sprache einer Verwunderung an-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[125/0145]
Verlegenheit setzen muſste. Ich will aus Baumgartens
Metaphysik ein paar Paragraphen hierher setzen.
§. 40. Complexus essentialium in possibili est essentia,
(esse rei, ratio formalis, natura, quidditas, forma, for-
male totius, ουσια, τινοτις, substantia, conceptus entis primus.)
Hier zeigen schon die vielen Synonymen, wie viel Mühe
man sich gegeben hat, den complexus, die Einigung des
Vielen, aufzufassen.
§. 196. Id in substantia, cui inhaerere possunt acci-
dentia, sive substantia, quatenus est subiectum; id, cui acci-
dentia inhaerere possunt, substantiale vocatur; nec acci-
dentia existunt extra substantiale.
Welche monströse Erfindung! So möchte man hier
ausrufen. — Wie? Braucht denn die Substanz noch
ein substantiale, damit Accidenzen in ihr wohnen können?
Heiſst sie nicht gerade in dieser Beziehung Substanz, in
wiefern sie Accidenzen trägt? Muſs und kann und darf
denn zwischen sie selbst, und ihre Accidenzen — die ja
eben die ihrigen sind, — noch ein Mittelglied, das
substantiale, eingeschoben werden? Was ist denn damit
gewonnen? Wollen wir nicht noch einen neuen Kitt er-
finden, vermöge dessen das substantiale mit der Substanz
zusammen hänge? Und abermals einen andern Kitt, um
die Accidenzen in das substantiale hinein zu leimen?
Wird denn dieser Kitt nicht nochmals an die Glieder,
die er verknüpfen soll, angeheftet werden müssen? Wird
man nicht auf diese Weise die Mittelglieder ins Unend-
liche vervielfältigen müssen?
Oder was ist das für ein quatenus, in dem Ausdrucke:
substantia, quatenus est subiectum? Soll die Substanz sich
selbst entgegengesetzt werden? Will man sie auffassen,
einmal in so fern, als sie ein Subject für Prädicate ist,
ein andermal in so fern, in wie ferne sie nicht Subject für
ihre Prädicate ist? Darf sie denn jemals anders gedacht
werden, als eben in so fern, in wie ferne sie ihre essentia-
lia, ihre attributa, in sich vereinigt?
Hier habe ich die Sprache einer Verwunderung an-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/145>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.