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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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des Bewusstseyns zu verstehen sey. Im §. 18. war die
Rede von dem Unterschiede dessen, was ins Bewusst-
seyn kommt, von demjenigen, dessen man sich bewusst
ist. Zu dieser Unterscheidung nöthigt der Mangel an
Sprache, welchem der Mangel an psychologischen Ein-
sichten zum Grunde liegt. Viele nämlich halten das Vor-
stellen und das Selbstbeobachten dieses Vorstellens für
unzertrennlich; oder sie verwechseln wohl gar eins mit
dem andern. Daher wird der Ausdruck: Bewusstseyn,
zweydeutig; indem er bald das gesammte wirkliche Vor-
stellen, -- also das Hervorragen einiger Vorstellungen
über die Schwelle, die Erhebung derselben über den ganz
gehemmten Zustand, -- bald aber die Beobachtung die-
ses Vorstellens als des unsrigen, die Anknüpfung des-
selben an das Ich, zu bezeichnen gebraucht wird. Wir
nehmen hier das Wort Bewusstseyn überall in der ersten
Bedeutung; bedienen uns aber für das zweyte der Wen-
dung: man ist Sich einer Sache bewusst.

Hiemit soll zwar noch nicht über die Frage von
den sogenannten bewusstlosen Vorstellungen entschieden
werden, oder, wie wir uns ausdrücken würden, von den
Vorstellungen, die im Bewusstseyn sind, ohne dass man
sich ihrer bewusst ist. Aber, erstlich liegt nach allem
Vorstehenden klar vor Augen, dass die Gesetze, nach
welchen Vorstellungen ins Bewusstseyn treten, viel frü-
her anfangen sich uns zu entdecken, als diejenigen, nach
welchen das Ich als das Vorstellende mag aufgefasst wer-
den. Die Selbstbeobachtung ist ohne Zweifel etwas un-
gleich mehr Verwickeltes, als das blosse Hervortreten
über die Schwelle; und muss daher, in der Untersuchung,
von diesem ganz gesondert werden. Zweytens bedür-
fen wir eines Namens für die Gesammtheit des
jedesmal gleichzeitig zusammentreffenden Vor-
stellens
; und diese ist es, für welche kaum ein passen-
derer Ausdruck als das Wort Bewusstseyn möchte
gefunden werden. Sie ist darum so wichtig, weil sie,
für jede in ihr zu einem bestimmten Zeitpuncte enthal-

I. M

des Bewuſstseyns zu verstehen sey. Im §. 18. war die
Rede von dem Unterschiede dessen, was ins Bewuſst-
seyn kommt, von demjenigen, dessen man sich bewuſst
ist. Zu dieser Unterscheidung nöthigt der Mangel an
Sprache, welchem der Mangel an psychologischen Ein-
sichten zum Grunde liegt. Viele nämlich halten das Vor-
stellen und das Selbstbeobachten dieses Vorstellens für
unzertrennlich; oder sie verwechseln wohl gar eins mit
dem andern. Daher wird der Ausdruck: Bewuſstseyn,
zweydeutig; indem er bald das gesammte wirkliche Vor-
stellen, — also das Hervorragen einiger Vorstellungen
über die Schwelle, die Erhebung derselben über den ganz
gehemmten Zustand, — bald aber die Beobachtung die-
ses Vorstellens als des unsrigen, die Anknüpfung des-
selben an das Ich, zu bezeichnen gebraucht wird. Wir
nehmen hier das Wort Bewuſstseyn überall in der ersten
Bedeutung; bedienen uns aber für das zweyte der Wen-
dung: man ist Sich einer Sache bewuſst.

Hiemit soll zwar noch nicht über die Frage von
den sogenannten bewuſstlosen Vorstellungen entschieden
werden, oder, wie wir uns ausdrücken würden, von den
Vorstellungen, die im Bewuſstseyn sind, ohne daſs man
sich ihrer bewuſst ist. Aber, erstlich liegt nach allem
Vorstehenden klar vor Augen, daſs die Gesetze, nach
welchen Vorstellungen ins Bewuſstseyn treten, viel frü-
her anfangen sich uns zu entdecken, als diejenigen, nach
welchen das Ich als das Vorstellende mag aufgefaſst wer-
den. Die Selbstbeobachtung ist ohne Zweifel etwas un-
gleich mehr Verwickeltes, als das bloſse Hervortreten
über die Schwelle; und muſs daher, in der Untersuchung,
von diesem ganz gesondert werden. Zweytens bedür-
fen wir eines Namens für die Gesammtheit des
jedesmal gleichzeitig zusammentreffenden Vor-
stellens
; und diese ist es, für welche kaum ein passen-
derer Ausdruck als das Wort Bewuſstseyn möchte
gefunden werden. Sie ist darum so wichtig, weil sie,
für jede in ihr zu einem bestimmten Zeitpuncte enthal-

I. M
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[177/0197] des Bewuſstseyns zu verstehen sey. Im §. 18. war die Rede von dem Unterschiede dessen, was ins Bewuſst- seyn kommt, von demjenigen, dessen man sich bewuſst ist. Zu dieser Unterscheidung nöthigt der Mangel an Sprache, welchem der Mangel an psychologischen Ein- sichten zum Grunde liegt. Viele nämlich halten das Vor- stellen und das Selbstbeobachten dieses Vorstellens für unzertrennlich; oder sie verwechseln wohl gar eins mit dem andern. Daher wird der Ausdruck: Bewuſstseyn, zweydeutig; indem er bald das gesammte wirkliche Vor- stellen, — also das Hervorragen einiger Vorstellungen über die Schwelle, die Erhebung derselben über den ganz gehemmten Zustand, — bald aber die Beobachtung die- ses Vorstellens als des unsrigen, die Anknüpfung des- selben an das Ich, zu bezeichnen gebraucht wird. Wir nehmen hier das Wort Bewuſstseyn überall in der ersten Bedeutung; bedienen uns aber für das zweyte der Wen- dung: man ist Sich einer Sache bewuſst. Hiemit soll zwar noch nicht über die Frage von den sogenannten bewuſstlosen Vorstellungen entschieden werden, oder, wie wir uns ausdrücken würden, von den Vorstellungen, die im Bewuſstseyn sind, ohne daſs man sich ihrer bewuſst ist. Aber, erstlich liegt nach allem Vorstehenden klar vor Augen, daſs die Gesetze, nach welchen Vorstellungen ins Bewuſstseyn treten, viel frü- her anfangen sich uns zu entdecken, als diejenigen, nach welchen das Ich als das Vorstellende mag aufgefaſst wer- den. Die Selbstbeobachtung ist ohne Zweifel etwas un- gleich mehr Verwickeltes, als das bloſse Hervortreten über die Schwelle; und muſs daher, in der Untersuchung, von diesem ganz gesondert werden. Zweytens bedür- fen wir eines Namens für die Gesammtheit des jedesmal gleichzeitig zusammentreffenden Vor- stellens; und diese ist es, für welche kaum ein passen- derer Ausdruck als das Wort Bewuſstseyn möchte gefunden werden. Sie ist darum so wichtig, weil sie, für jede in ihr zu einem bestimmten Zeitpuncte enthal- I. M

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/197>, abgerufen am 24.11.2024.