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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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zu viel geschlossen wäre. Denn so lange jene Vorstel-
lungen nur zum Theil gehemmt, so lange sie noch in
einer fortgehenden Hemmung begriffen sind, eben so
lange wirken sie noch im Bewusstseyn, und es richten
sich nach ihnen die Zustände der übrigen Vorstellungen.
Allein, wenn sich eine Vorstellung auf der statischen
Schwelle befindet, alsdann ist, wie wir längst wissen, al-
les was im Bewusstseyn vorgeht, von ihrem Einflusse
unabhängig. Ja sogar in dem Augenblicke, wo sie die
Schwelle erreicht, tritt ein neues Bewegungsgesetz für die
noch im Bewusstseyn vorhandenen Vorstellungen ein, wel-
ches der Ausdruck und Erfolg dieser Unabhängigkeit ist
(§. 75.). Nun strebt zwar die Seele fortdauernd, auch
diese Art der Selbsterhaltung, oder diese Vorstellung,
wieder herzustellen. Allein sie ist in diesem Streben völ-
lig gebunden; ja dieses Streben ist eine isolirte Modifi-
cation der Seele, indem es die wirkliche Thätigkeit, die
Zustände des Bewusstseyns, nicht im mindesten abzuän-
dern und nach sich zu gestalten vermag. Also ist hier
wirklich der Fall, wo die Empfänglichkeit nicht vermin-
dert seyn kann. Die frühere Vorstellung befindet sich
nicht unter den wirklichen Thätigkeiten der Seele,
weder unmittelbar als Vorstellung, noch mittelbar durch
ihre Einwirkung auf die Zustände des Bewusstseyns. Viel-
leicht noch einleuchtender wird dies durch die Verglei-
chung mit Vorstellungen auf der mechanischen Schwelle
(§. 79.) Diese sind ebenfalls aus dem Bewusstseyn völ-
lig verschwunden, aber nur um so vollständiger ist auch
die Spannung, mit der sie dasjenige bestimmen helfen,
was im Bewusstseyn vorgeht. Von ihnen also dürfen wir
nicht sagen, dass in Hinsicht ihrer die Empfänglichkeit
unvermindert seyn werde.

Wohl aber dürfen wir den Satz aufstellen: die Em-
pfänglichkeit für eine gewisse Wahrnehmung
erneuert sich, indem die frühere, gleichartige
Vorstellung auf die statische Schwelle getrie-
ben wird
.

zu viel geschlossen wäre. Denn so lange jene Vorstel-
lungen nur zum Theil gehemmt, so lange sie noch in
einer fortgehenden Hemmung begriffen sind, eben so
lange wirken sie noch im Bewuſstseyn, und es richten
sich nach ihnen die Zustände der übrigen Vorstellungen.
Allein, wenn sich eine Vorstellung auf der statischen
Schwelle befindet, alsdann ist, wie wir längst wissen, al-
les was im Bewuſstseyn vorgeht, von ihrem Einflusse
unabhängig. Ja sogar in dem Augenblicke, wo sie die
Schwelle erreicht, tritt ein neues Bewegungsgesetz für die
noch im Bewuſstseyn vorhandenen Vorstellungen ein, wel-
ches der Ausdruck und Erfolg dieser Unabhängigkeit ist
(§. 75.). Nun strebt zwar die Seele fortdauernd, auch
diese Art der Selbsterhaltung, oder diese Vorstellung,
wieder herzustellen. Allein sie ist in diesem Streben völ-
lig gebunden; ja dieses Streben ist eine isolirte Modifi-
cation der Seele, indem es die wirkliche Thätigkeit, die
Zustände des Bewuſstseyns, nicht im mindesten abzuän-
dern und nach sich zu gestalten vermag. Also ist hier
wirklich der Fall, wo die Empfänglichkeit nicht vermin-
dert seyn kann. Die frühere Vorstellung befindet sich
nicht unter den wirklichen Thätigkeiten der Seele,
weder unmittelbar als Vorstellung, noch mittelbar durch
ihre Einwirkung auf die Zustände des Bewuſstseyns. Viel-
leicht noch einleuchtender wird dies durch die Verglei-
chung mit Vorstellungen auf der mechanischen Schwelle
(§. 79.) Diese sind ebenfalls aus dem Bewuſstseyn völ-
lig verschwunden, aber nur um so vollständiger ist auch
die Spannung, mit der sie dasjenige bestimmen helfen,
was im Bewuſstseyn vorgeht. Von ihnen also dürfen wir
nicht sagen, daſs in Hinsicht ihrer die Empfänglichkeit
unvermindert seyn werde.

Wohl aber dürfen wir den Satz aufstellen: die Em-
pfänglichkeit für eine gewisse Wahrnehmung
erneuert sich, indem die frühere, gleichartige
Vorstellung auf die statische Schwelle getrie-
ben wird
.

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[346/0366] zu viel geschlossen wäre. Denn so lange jene Vorstel- lungen nur zum Theil gehemmt, so lange sie noch in einer fortgehenden Hemmung begriffen sind, eben so lange wirken sie noch im Bewuſstseyn, und es richten sich nach ihnen die Zustände der übrigen Vorstellungen. Allein, wenn sich eine Vorstellung auf der statischen Schwelle befindet, alsdann ist, wie wir längst wissen, al- les was im Bewuſstseyn vorgeht, von ihrem Einflusse unabhängig. Ja sogar in dem Augenblicke, wo sie die Schwelle erreicht, tritt ein neues Bewegungsgesetz für die noch im Bewuſstseyn vorhandenen Vorstellungen ein, wel- ches der Ausdruck und Erfolg dieser Unabhängigkeit ist (§. 75.). Nun strebt zwar die Seele fortdauernd, auch diese Art der Selbsterhaltung, oder diese Vorstellung, wieder herzustellen. Allein sie ist in diesem Streben völ- lig gebunden; ja dieses Streben ist eine isolirte Modifi- cation der Seele, indem es die wirkliche Thätigkeit, die Zustände des Bewuſstseyns, nicht im mindesten abzuän- dern und nach sich zu gestalten vermag. Also ist hier wirklich der Fall, wo die Empfänglichkeit nicht vermin- dert seyn kann. Die frühere Vorstellung befindet sich nicht unter den wirklichen Thätigkeiten der Seele, weder unmittelbar als Vorstellung, noch mittelbar durch ihre Einwirkung auf die Zustände des Bewuſstseyns. Viel- leicht noch einleuchtender wird dies durch die Verglei- chung mit Vorstellungen auf der mechanischen Schwelle (§. 79.) Diese sind ebenfalls aus dem Bewuſstseyn völ- lig verschwunden, aber nur um so vollständiger ist auch die Spannung, mit der sie dasjenige bestimmen helfen, was im Bewuſstseyn vorgeht. Von ihnen also dürfen wir nicht sagen, daſs in Hinsicht ihrer die Empfänglichkeit unvermindert seyn werde. Wohl aber dürfen wir den Satz aufstellen: die Em- pfänglichkeit für eine gewisse Wahrnehmung erneuert sich, indem die frühere, gleichartige Vorstellung auf die statische Schwelle getrie- ben wird.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/366>, abgerufen am 21.11.2024.