dem sinnlichen Weltraum durchaus nicht zusammen; hat auch mit ihm kein gemeinsames Maass, sondern seine Maasse müssen aus ihm selbst genommen werden; z. E. ein Zehntheil der Distanz zwischen Roth und Blau; dies ist eine völlig bestimmte Grösse für das Farbendreyeck, und ein zulängliches Maass für alle darauf zu entwerfenden Figuren. Wollte man aber das Farbendreyeck aufs Pa- pier zeichnen, so könnte es eben so gut ein Differential- Dreyeck seyn, als eine Quadrat-Meile im sinnlichen Weltraum einnehmen. -- Es giebt noch andre Veran- lassungen, Raum zu construiren; der intelligible Raum in der Metaphysik gehört hieher. Genau genommen, lie- gen auch die Gegenstände der reinen Geometrie nicht im sinnlichen Weltraum; dieser letztere ist theils von Kör- pern erfüllt, theils liegt es leer zwischen ihnen; die geo- metrischen Kreise, Quadrate, Polygone aber sind nir- gends in ihm, haben in ihm nicht einmal Platz, wur- den auch nicht durch Begränzung aus ihm herausgeho- ben, sondern der Geometer macht jeden von ihnen ganz von vorn an, und würde aus jedem derselben einen ganz vollständigen Raum, als dessen Umgebung, produciren, wenn ihm daran gelegen wäre, so dass auch dieser Raum gar keine bestimmte Lage gegen oder in dem sinnlichen Weltraum hätte, sondern man einen davon sich aus dem Sinne schlagen müsste, um den andern zu denken. Be- quemer ist es, die Constructionen, die nicht nothwendig geschieden bleiben müssen, in einander fallen zu lassen; eigentlich aber ist zwischen dem Kreise des Geometers und den sämmtlichen sinnlich wahrnehmbaren Kreisen das Verhältniss einer platonischen Idee zu ihren Nachah- mungen; wobey man sich erinnern wird, dass eine solche Idee durchaus nicht selbst einen Platz in der Sinnenwelt hat, wo sie könnte gefunden oder auch nur dürfte ge- sucht werden. -- Ja sogar der sinnliche Weltraum ist nicht ursprünglich nur Einer; sondern Auge, und Gefühl oder Getast, haben unabhängig von einander Gele- genheit zur Production des Raums gegeben; später ist bey-
dem sinnlichen Weltraum durchaus nicht zusammen; hat auch mit ihm kein gemeinsames Maaſs, sondern seine Maaſse müssen aus ihm selbst genommen werden; z. E. ein Zehntheil der Distanz zwischen Roth und Blau; dies ist eine völlig bestimmte Gröſse für das Farbendreyeck, und ein zulängliches Maaſs für alle darauf zu entwerfenden Figuren. Wollte man aber das Farbendreyeck aufs Pa- pier zeichnen, so könnte es eben so gut ein Differential- Dreyeck seyn, als eine Quadrat-Meile im sinnlichen Weltraum einnehmen. — Es giebt noch andre Veran- lassungen, Raum zu construiren; der intelligible Raum in der Metaphysik gehört hieher. Genau genommen, lie- gen auch die Gegenstände der reinen Geometrie nicht im sinnlichen Weltraum; dieser letztere ist theils von Kör- pern erfüllt, theils liegt es leer zwischen ihnen; die geo- metrischen Kreise, Quadrate, Polygone aber sind nir- gends in ihm, haben in ihm nicht einmal Platz, wur- den auch nicht durch Begränzung aus ihm herausgeho- ben, sondern der Geometer macht jeden von ihnen ganz von vorn an, und würde aus jedem derselben einen ganz vollständigen Raum, als dessen Umgebung, produciren, wenn ihm daran gelegen wäre, so daſs auch dieser Raum gar keine bestimmte Lage gegen oder in dem sinnlichen Weltraum hätte, sondern man einen davon sich aus dem Sinne schlagen müſste, um den andern zu denken. Be- quemer ist es, die Constructionen, die nicht nothwendig geschieden bleiben müssen, in einander fallen zu lassen; eigentlich aber ist zwischen dem Kreise des Geometers und den sämmtlichen sinnlich wahrnehmbaren Kreisen das Verhältniſs einer platonischen Idee zu ihren Nachah- mungen; wobey man sich erinnern wird, daſs eine solche Idee durchaus nicht selbst einen Platz in der Sinnenwelt hat, wo sie könnte gefunden oder auch nur dürfte ge- sucht werden. — Ja sogar der sinnliche Weltraum ist nicht ursprünglich nur Einer; sondern Auge, und Gefühl oder Getast, haben unabhängig von einander Gele- genheit zur Production des Raums gegeben; später ist bey-
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dem sinnlichen Weltraum durchaus nicht zusammen; hat
auch mit ihm kein gemeinsames Maaſs, sondern seine
Maaſse müssen aus ihm selbst genommen werden; z. E. ein
Zehntheil der Distanz zwischen Roth und Blau; dies ist
eine völlig bestimmte Gröſse für das Farbendreyeck, und
ein zulängliches Maaſs für alle darauf zu entwerfenden
Figuren. Wollte man aber das Farbendreyeck aufs Pa-
pier zeichnen, so könnte es eben so gut ein Differential-
Dreyeck seyn, als eine Quadrat-Meile im sinnlichen
Weltraum einnehmen. — Es giebt noch andre Veran-
lassungen, Raum zu construiren; der intelligible Raum
in der Metaphysik gehört hieher. Genau genommen, lie-
gen auch die Gegenstände der reinen Geometrie nicht
im sinnlichen Weltraum; dieser letztere ist theils von Kör-
pern erfüllt, theils liegt es leer zwischen ihnen; die geo-
metrischen Kreise, Quadrate, Polygone aber sind nir-
gends in ihm, haben in ihm nicht einmal Platz, wur-
den auch nicht durch Begränzung aus ihm herausgeho-
ben, sondern der Geometer macht jeden von ihnen ganz
von vorn an, und würde aus jedem derselben einen ganz
vollständigen Raum, als dessen Umgebung, produciren,
wenn ihm daran gelegen wäre, so daſs auch dieser Raum
gar keine bestimmte Lage gegen oder in dem sinnlichen
Weltraum hätte, sondern man einen davon sich aus dem
Sinne schlagen müſste, um den andern zu denken. Be-
quemer ist es, die Constructionen, die nicht nothwendig
geschieden bleiben müssen, in einander fallen zu lassen;
eigentlich aber ist zwischen dem Kreise des Geometers
und den sämmtlichen sinnlich wahrnehmbaren Kreisen
das Verhältniſs einer platonischen Idee zu ihren Nachah-
mungen; wobey man sich erinnern wird, daſs eine solche
Idee durchaus nicht selbst einen Platz in der Sinnenwelt
hat, wo sie könnte gefunden oder auch nur dürfte ge-
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nicht ursprünglich nur Einer; sondern Auge, und Gefühl
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/380>, abgerufen am 21.11.2024.
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