men als auch veränderliche Hemmungsverhältnisse in die Rechnung eingeführt.
Dies ist jedoch nicht Alles. Wo Hemmung we- gen der Gestalt (so nenne ich kurz diesen Conflict der Reproductionen) Statt findet, da giebt es auch Be- günstigung wegen der Gestalt, oder das Gegen- theil; und wo dieser psychologische Process durch die Auffassung eines gewissen Gegenstandes herbeygeführt wird, da heisst in gewöhnlicher Sprache, die nur das Vorgestellte bezeichnet, von dem verborgenen Act des Vorstellens aber nichts aussagen kann, -- der Ge- genstand schön oder hässlich. Will man jemals über das Schöne im Raume nähere Kenntniss erlan- gen: so wird man die Mechanik des Geistes bis hieher fortführen müssen.
Alle Vorstellungen im engern Sinne, das heisst, solche, die ein Bild sind von irgend einem, gleich- viel ob wirklichen, oder scheinbaren, oder erdichteten Gegenstande, sind Gewebe von Reihen, die in einer schnellen Succession unmerklich fortfliessend, durchlaufen werden. Der Schwung durch die Partial-Vorstellungen lässt einen Gesammt-Eindruck zurück, der jeden Augen- blick auf die geringste Veranlassung wieder in irgend eine innere Bewegung gerathen kann. Man betrachte drey Puncte; sollte die Anschauung gleichmässig auf diesem Bilde ruhen, so müsste das Auge auf den Mittelpunct des Kreises gerichtet werden, der das Dreyeck umschliesst; allein dies geschieht gewiss nicht bey solchen Dreyecken, die vom gleichseitigen bedeutend abweichen; hier giebt es einen andern Punct, in welchen das Maximum des Zugleich-Auffassens der sämmtlichen Winkelpuncte fallen würde. Aber auch da ruhet das Auge nicht, eben deswegen, weil hier noch immer Ungleichheit Statt findet, indem einer von den Puncten am meisten, ein anderer am wenigsten gesehen wird; nur ein successives Sehen kann dies ausgleichen. Was nun vom Vorstellen dreyer Puncte (aufs Sehen mit dem leiblichen Auge kommt hier
men als auch veränderliche Hemmungsverhältnisse in die Rechnung eingeführt.
Dies ist jedoch nicht Alles. Wo Hemmung we- gen der Gestalt (so nenne ich kurz diesen Conflict der Reproductionen) Statt findet, da giebt es auch Be- günstigung wegen der Gestalt, oder das Gegen- theil; und wo dieser psychologische Proceſs durch die Auffassung eines gewissen Gegenstandes herbeygeführt wird, da heiſst in gewöhnlicher Sprache, die nur das Vorgestellte bezeichnet, von dem verborgenen Act des Vorstellens aber nichts aussagen kann, — der Ge- genstand schön oder häſslich. Will man jemals über das Schöne im Raume nähere Kenntniſs erlan- gen: so wird man die Mechanik des Geistes bis hieher fortführen müssen.
Alle Vorstellungen im engern Sinne, das heiſst, solche, die ein Bild sind von irgend einem, gleich- viel ob wirklichen, oder scheinbaren, oder erdichteten Gegenstande, sind Gewebe von Reihen, die in einer schnellen Succession unmerklich fortflieſsend, durchlaufen werden. Der Schwung durch die Partial-Vorstellungen läſst einen Gesammt-Eindruck zurück, der jeden Augen- blick auf die geringste Veranlassung wieder in irgend eine innere Bewegung gerathen kann. Man betrachte drey Puncte; sollte die Anschauung gleichmäſsig auf diesem Bilde ruhen, so müſste das Auge auf den Mittelpunct des Kreises gerichtet werden, der das Dreyeck umschlieſst; allein dies geschieht gewiſs nicht bey solchen Dreyecken, die vom gleichseitigen bedeutend abweichen; hier giebt es einen andern Punct, in welchen das Maximum des Zugleich-Auffassens der sämmtlichen Winkelpuncte fallen würde. Aber auch da ruhet das Auge nicht, eben deswegen, weil hier noch immer Ungleichheit Statt findet, indem einer von den Puncten am meisten, ein anderer am wenigsten gesehen wird; nur ein successives Sehen kann dies ausgleichen. Was nun vom Vorstellen dreyer Puncte (aufs Sehen mit dem leiblichen Auge kommt hier
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men als auch veränderliche Hemmungsverhältnisse in die
Rechnung eingeführt.
Dies ist jedoch nicht Alles. Wo Hemmung we-
gen der Gestalt (so nenne ich kurz diesen Conflict
der Reproductionen) Statt findet, da giebt es auch Be-
günstigung wegen der Gestalt, oder das Gegen-
theil; und wo dieser psychologische Proceſs durch die
Auffassung eines gewissen Gegenstandes herbeygeführt
wird, da heiſst in gewöhnlicher Sprache, die nur das
Vorgestellte bezeichnet, von dem verborgenen Act des
Vorstellens aber nichts aussagen kann, — der Ge-
genstand schön oder häſslich. Will man jemals
über das Schöne im Raume nähere Kenntniſs erlan-
gen: so wird man die Mechanik des Geistes bis hieher
fortführen müssen.
Alle Vorstellungen im engern Sinne, das
heiſst, solche, die ein Bild sind von irgend einem, gleich-
viel ob wirklichen, oder scheinbaren, oder erdichteten
Gegenstande, sind Gewebe von Reihen, die in einer
schnellen Succession unmerklich fortflieſsend, durchlaufen
werden. Der Schwung durch die Partial-Vorstellungen
läſst einen Gesammt-Eindruck zurück, der jeden Augen-
blick auf die geringste Veranlassung wieder in irgend eine
innere Bewegung gerathen kann. Man betrachte drey
Puncte; sollte die Anschauung gleichmäſsig auf diesem
Bilde ruhen, so müſste das Auge auf den Mittelpunct
des Kreises gerichtet werden, der das Dreyeck umschlieſst;
allein dies geschieht gewiſs nicht bey solchen Dreyecken,
die vom gleichseitigen bedeutend abweichen; hier giebt
es einen andern Punct, in welchen das Maximum des
Zugleich-Auffassens der sämmtlichen Winkelpuncte
fallen würde. Aber auch da ruhet das Auge nicht, eben
deswegen, weil hier noch immer Ungleichheit Statt findet,
indem einer von den Puncten am meisten, ein anderer
am wenigsten gesehen wird; nur ein successives Sehen
kann dies ausgleichen. Was nun vom Vorstellen dreyer
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/382>, abgerufen am 21.11.2024.
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