Das sind die Fragen, die beantwortet werden müs- sen. Sie passen auf die Landkarte von Utopien eben so gut, als auf die von Europa; und, mit gehöriger Abän- derung auf die Zeit übertragen, eben so wohl auf die Geschichte von Udepoten, als auf die vom Erdball und vom Sonnensystem. Die Antworten darauf müssen eben so wohl die Raumvorstellungen des Hundes und des Ha- sen erklären, als die des Menschen, obgleich von den Thieren schwerlich jemand glauben wird, sie stellten Raum und Zeit als unendliche gegebene Grössen vor. Wo und wie irgend ein Räumliches oder Zeitliches ge- dacht, oder gedichtet, oder geträumt, oder gesehen, oder gefühlt, oder als Symbol gleichnissweise zur Erläuterung unsinnlicher Gegenstände gebraucht und gestaltet wird, in diesen und allen erdenklichen Fällen muss das Vorge- stellte darum geordnet auseinander treten, weil in dem Vorstellen ein geordnetes Streben ist, vermöge dessen jede kleinste Partial-Vorstellung alle die andern in be- stimmter Reihenfolge nach sich zieht, und in sie hinüber- fliesst. Zu erklären, wie dieses Streben und Wirken in die Vorstellungen komme, das war die Aufgabe; aber ein paar unendliche leere Gefässe hin- zustellen, in welche die Sinne ihre Empfindungen hinein- schütten sollten, ohne irgend einen Grund der Anord- nung und Gestaltung, das war eine völlig gehaltlose, nichtssagende, unpassende Hypothese.
Eben so unkritisch war die Uebereilung, darum, weil Raum und Zeit Formen unseres Anschauens sind, zu be- haupten, sie wären nicht Formen der Auffassung un- sinnlicher Gegenstände, oder mit andern Worten, sie kämen den Dingen an sich nicht zu. Gerade umgekehrt! Dieselben Gründe, derentwegen das Farbige und das Fühlbare sich räumlich ordnet, kehren mit geringer Ver- änderung auch dort wieder, wo eine Mannigfaltigkeit des unsinnlichen Realen im zusammenfassenden Denken soll überschauet werden. Wir schauen freylich bloss mit den Sinnen, wenn Schauen eine formale Modification des
Das sind die Fragen, die beantwortet werden müs- sen. Sie passen auf die Landkarte von Utopien eben so gut, als auf die von Europa; und, mit gehöriger Abän- derung auf die Zeit übertragen, eben so wohl auf die Geschichte von Udepoten, als auf die vom Erdball und vom Sonnensystem. Die Antworten darauf müssen eben so wohl die Raumvorstellungen des Hundes und des Ha- sen erklären, als die des Menschen, obgleich von den Thieren schwerlich jemand glauben wird, sie stellten Raum und Zeit als unendliche gegebene Gröſsen vor. Wo und wie irgend ein Räumliches oder Zeitliches ge- dacht, oder gedichtet, oder geträumt, oder gesehen, oder gefühlt, oder als Symbol gleichniſsweise zur Erläuterung unsinnlicher Gegenstände gebraucht und gestaltet wird, in diesen und allen erdenklichen Fällen muſs das Vorge- stellte darum geordnet auseinander treten, weil in dem Vorstellen ein geordnetes Streben ist, vermöge dessen jede kleinste Partial-Vorstellung alle die andern in be- stimmter Reihenfolge nach sich zieht, und in sie hinüber- flieſst. Zu erklären, wie dieses Streben und Wirken in die Vorstellungen komme, das war die Aufgabe; aber ein paar unendliche leere Gefäſse hin- zustellen, in welche die Sinne ihre Empfindungen hinein- schütten sollten, ohne irgend einen Grund der Anord- nung und Gestaltung, das war eine völlig gehaltlose, nichtssagende, unpassende Hypothese.
Eben so unkritisch war die Uebereilung, darum, weil Raum und Zeit Formen unseres Anschauens sind, zu be- haupten, sie wären nicht Formen der Auffassung un- sinnlicher Gegenstände, oder mit andern Worten, sie kämen den Dingen an sich nicht zu. Gerade umgekehrt! Dieselben Gründe, derentwegen das Farbige und das Fühlbare sich räumlich ordnet, kehren mit geringer Ver- änderung auch dort wieder, wo eine Mannigfaltigkeit des unsinnlichen Realen im zusammenfassenden Denken soll überschauet werden. Wir schauen freylich bloſs mit den Sinnen, wenn Schauen eine formale Modification des
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0401"n="381"/><p><hirendition="#g">Das</hi> sind die Fragen, die beantwortet werden müs-<lb/>
sen. Sie passen auf die Landkarte von Utopien eben so<lb/>
gut, als auf die von Europa; und, mit gehöriger Abän-<lb/>
derung auf die Zeit übertragen, eben so wohl auf die<lb/>
Geschichte von Udepoten, als auf die vom Erdball und<lb/>
vom Sonnensystem. Die Antworten darauf müssen eben<lb/>
so wohl die Raumvorstellungen des Hundes und des Ha-<lb/>
sen erklären, als die des Menschen, obgleich von den<lb/>
Thieren schwerlich jemand glauben wird, sie stellten<lb/>
Raum und Zeit als unendliche gegebene Gröſsen vor.<lb/>
Wo und wie irgend ein Räumliches oder Zeitliches ge-<lb/>
dacht, oder gedichtet, oder geträumt, oder gesehen, oder<lb/>
gefühlt, oder als Symbol gleichniſsweise zur Erläuterung<lb/>
unsinnlicher Gegenstände gebraucht und gestaltet wird,<lb/>
in diesen und allen erdenklichen Fällen muſs das Vorge-<lb/>
stellte <hirendition="#g">darum</hi> geordnet auseinander treten, weil in dem<lb/>
Vorstellen ein geordnetes Streben ist, vermöge dessen<lb/>
jede kleinste Partial-Vorstellung alle die andern in be-<lb/>
stimmter Reihenfolge nach sich zieht, und in sie hinüber-<lb/>
flieſst. <hirendition="#g">Zu erklären, wie dieses Streben und<lb/>
Wirken in die Vorstellungen komme</hi>, das war<lb/>
die Aufgabe; aber ein paar unendliche leere Gefäſse hin-<lb/>
zustellen, in welche die Sinne ihre Empfindungen hinein-<lb/>
schütten sollten, ohne irgend einen Grund der Anord-<lb/>
nung und Gestaltung, das war eine völlig gehaltlose,<lb/>
nichtssagende, unpassende Hypothese.</p><lb/><p>Eben so unkritisch war die Uebereilung, darum, weil<lb/>
Raum und Zeit Formen unseres Anschauens sind, zu be-<lb/>
haupten, sie wären <hirendition="#g">nicht</hi> Formen der Auffassung un-<lb/>
sinnlicher Gegenstände, oder mit andern Worten, sie<lb/>
kämen den Dingen an sich nicht zu. Gerade umgekehrt!<lb/>
Dieselben Gründe, derentwegen das Farbige und das<lb/>
Fühlbare sich räumlich ordnet, kehren mit geringer Ver-<lb/>
änderung auch dort wieder, wo eine Mannigfaltigkeit des<lb/>
unsinnlichen Realen im zusammenfassenden Denken soll<lb/>
überschauet werden. Wir schauen freylich bloſs mit den<lb/>
Sinnen, wenn Schauen eine formale Modification des<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[381/0401]
Das sind die Fragen, die beantwortet werden müs-
sen. Sie passen auf die Landkarte von Utopien eben so
gut, als auf die von Europa; und, mit gehöriger Abän-
derung auf die Zeit übertragen, eben so wohl auf die
Geschichte von Udepoten, als auf die vom Erdball und
vom Sonnensystem. Die Antworten darauf müssen eben
so wohl die Raumvorstellungen des Hundes und des Ha-
sen erklären, als die des Menschen, obgleich von den
Thieren schwerlich jemand glauben wird, sie stellten
Raum und Zeit als unendliche gegebene Gröſsen vor.
Wo und wie irgend ein Räumliches oder Zeitliches ge-
dacht, oder gedichtet, oder geträumt, oder gesehen, oder
gefühlt, oder als Symbol gleichniſsweise zur Erläuterung
unsinnlicher Gegenstände gebraucht und gestaltet wird,
in diesen und allen erdenklichen Fällen muſs das Vorge-
stellte darum geordnet auseinander treten, weil in dem
Vorstellen ein geordnetes Streben ist, vermöge dessen
jede kleinste Partial-Vorstellung alle die andern in be-
stimmter Reihenfolge nach sich zieht, und in sie hinüber-
flieſst. Zu erklären, wie dieses Streben und
Wirken in die Vorstellungen komme, das war
die Aufgabe; aber ein paar unendliche leere Gefäſse hin-
zustellen, in welche die Sinne ihre Empfindungen hinein-
schütten sollten, ohne irgend einen Grund der Anord-
nung und Gestaltung, das war eine völlig gehaltlose,
nichtssagende, unpassende Hypothese.
Eben so unkritisch war die Uebereilung, darum, weil
Raum und Zeit Formen unseres Anschauens sind, zu be-
haupten, sie wären nicht Formen der Auffassung un-
sinnlicher Gegenstände, oder mit andern Worten, sie
kämen den Dingen an sich nicht zu. Gerade umgekehrt!
Dieselben Gründe, derentwegen das Farbige und das
Fühlbare sich räumlich ordnet, kehren mit geringer Ver-
änderung auch dort wieder, wo eine Mannigfaltigkeit des
unsinnlichen Realen im zusammenfassenden Denken soll
überschauet werden. Wir schauen freylich bloſs mit den
Sinnen, wenn Schauen eine formale Modification des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/401>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.