Erstlich dasjenige, wovon, als dem andern grossen Haupttheile der Philosophie, die Metaphysik muss unter- schieden werden, (um der Logik, die nur einen Vorhof ausmacht, nicht zu erwähnen,) ist nicht allein die prak- tische Philosophie, sondern die gesammte Aesthetik. Von dieser ist die praktische Philosophie ein Theil; aber kein untergeordneter; denn in der allgemeinen Aesthetik sind die Haupttheile nur neben einander geordnet, weil die verschiedenen ästhetischen Beurtheilungen der Far- ben, Figuren, Töne u. s. w., und so auch der Willens- Verhältnisse, alle ursprünglich für sich bestehn, und durch keine gegenseitige Abhängigkeit verknüpft sind. Daher bilden die verschiedenen Kunstlehren, von denen die Tu- gendlehre Eine ist, lauter selbstständige Disciplinen, die nur wegen der Gleichartigkeit ihrer Principien (Beurthei- lung durch Beyfall oder Misfallen, ohne Rücksicht auf das was ist und seyn kann,) unter den allgemeinen Clas- sennamen Aesthetik, logisch zusammengestellt werden. Hierüber habe ich an andern Orten ausführlicher ge- sprochen, und werde mich jetzt nicht dabey aufhalten.
Zweytens, die Eintheilung der Metaphysik würde klä- rer seyn, wenn zuvörderst allgemeine Metaphysik von der speciellen oder angewandten getrennt wäre. Es bedarf wohl keiner Erinnerung, dass die allgemeine Metaphysik den Platz der Ontologie einnehmen muss, welcher letztre Name um so eher aufgegeben werden kann, weil die vor- mals durch ihn bezeichnete Lehre ohnehin einer völligen Umschaffung bedurfte. Zur angewandten Metaphysik aber sind ferner zu rechnen: Psychologie, Naturphilosophie, und philosophische Religionslehre. Dass der Name Kos- mologie passender in Naturphilosophie übersetzt werde, schliesse ich daraus, weil wir die Probleme dieser Wis- senschaft aus der Erfahrung nehmen müssen, welche dem Menschen auf der Oberfläche der Erde zugänglich ist, während der Begriff der Welt als eines Ganzen, mit dem unser Erfahrungskreis kaum verglichen werden kann, vielmehr in der allgemeinen Metaphysik seinen Platz hat.
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Erstlich dasjenige, wovon, als dem andern groſsen Haupttheile der Philosophie, die Metaphysik muſs unter- schieden werden, (um der Logik, die nur einen Vorhof ausmacht, nicht zu erwähnen,) ist nicht allein die prak- tische Philosophie, sondern die gesammte Aesthetik. Von dieser ist die praktische Philosophie ein Theil; aber kein untergeordneter; denn in der allgemeinen Aesthetik sind die Haupttheile nur neben einander geordnet, weil die verschiedenen ästhetischen Beurtheilungen der Far- ben, Figuren, Töne u. s. w., und so auch der Willens- Verhältnisse, alle ursprünglich für sich bestehn, und durch keine gegenseitige Abhängigkeit verknüpft sind. Daher bilden die verschiedenen Kunstlehren, von denen die Tu- gendlehre Eine ist, lauter selbstständige Disciplinen, die nur wegen der Gleichartigkeit ihrer Principien (Beurthei- lung durch Beyfall oder Misfallen, ohne Rücksicht auf das was ist und seyn kann,) unter den allgemeinen Clas- sennamen Aesthetik, logisch zusammengestellt werden. Hierüber habe ich an andern Orten ausführlicher ge- sprochen, und werde mich jetzt nicht dabey aufhalten.
Zweytens, die Eintheilung der Metaphysik würde klä- rer seyn, wenn zuvörderst allgemeine Metaphysik von der speciellen oder angewandten getrennt wäre. Es bedarf wohl keiner Erinnerung, daſs die allgemeine Metaphysik den Platz der Ontologie einnehmen muſs, welcher letztre Name um so eher aufgegeben werden kann, weil die vor- mals durch ihn bezeichnete Lehre ohnehin einer völligen Umschaffung bedurfte. Zur angewandten Metaphysik aber sind ferner zu rechnen: Psychologie, Naturphilosophie, und philosophische Religionslehre. Daſs der Name Kos- mologie passender in Naturphilosophie übersetzt werde, schlieſse ich daraus, weil wir die Probleme dieser Wis- senschaft aus der Erfahrung nehmen müssen, welche dem Menschen auf der Oberfläche der Erde zugänglich ist, während der Begriff der Welt als eines Ganzen, mit dem unser Erfahrungskreis kaum verglichen werden kann, vielmehr in der allgemeinen Metaphysik seinen Platz hat.
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Erstlich dasjenige, wovon, als dem andern groſsen
Haupttheile der Philosophie, die Metaphysik muſs unter-
schieden werden, (um der Logik, die nur einen Vorhof
ausmacht, nicht zu erwähnen,) ist nicht allein die prak-
tische Philosophie, sondern die gesammte Aesthetik. Von
dieser ist die praktische Philosophie ein Theil; aber kein
untergeordneter; denn in der allgemeinen Aesthetik sind
die Haupttheile nur neben einander geordnet, weil
die verschiedenen ästhetischen Beurtheilungen der Far-
ben, Figuren, Töne u. s. w., und so auch der Willens-
Verhältnisse, alle ursprünglich für sich bestehn, und durch
keine gegenseitige Abhängigkeit verknüpft sind. Daher
bilden die verschiedenen Kunstlehren, von denen die Tu-
gendlehre Eine ist, lauter selbstständige Disciplinen, die
nur wegen der Gleichartigkeit ihrer Principien (Beurthei-
lung durch Beyfall oder Misfallen, ohne Rücksicht auf
das was ist und seyn kann,) unter den allgemeinen Clas-
sennamen Aesthetik, logisch zusammengestellt werden.
Hierüber habe ich an andern Orten ausführlicher ge-
sprochen, und werde mich jetzt nicht dabey aufhalten.
Zweytens, die Eintheilung der Metaphysik würde klä-
rer seyn, wenn zuvörderst allgemeine Metaphysik von der
speciellen oder angewandten getrennt wäre. Es bedarf
wohl keiner Erinnerung, daſs die allgemeine Metaphysik
den Platz der Ontologie einnehmen muſs, welcher letztre
Name um so eher aufgegeben werden kann, weil die vor-
mals durch ihn bezeichnete Lehre ohnehin einer völligen
Umschaffung bedurfte. Zur angewandten Metaphysik aber
sind ferner zu rechnen: Psychologie, Naturphilosophie,
und philosophische Religionslehre. Daſs der Name Kos-
mologie passender in Naturphilosophie übersetzt werde,
schlieſse ich daraus, weil wir die Probleme dieser Wis-
senschaft aus der Erfahrung nehmen müssen, welche dem
Menschen auf der Oberfläche der Erde zugänglich ist,
während der Begriff der Welt als eines Ganzen, mit
dem unser Erfahrungskreis kaum verglichen werden kann,
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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/55>, abgerufen am 21.11.2024.
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